Abenteuerliches in Bangladesch
Von Barbara Knab
Eine Münchner Psychologin hatte die Möglichkeit, mit ihrem Mann auf eigene Faust durch ein islamisches Entwicklungsland zu reisen und berichtet für efi darüber.
Diese Typen übertreffen mühelos, was wir an Ungewöhnlichem erwartet hatten. Zu zehnt sitzen sie im Halbkreis auf einem blauen Tuch, das den Boden zur Hälfte bedeckt. Einige sind schon alt, die meisten haben lange, keineswegs frisch gewaschene Haare, manche einen wallenden Bart. Jeder trägt einen lunghi, den bengalischen Männerrock, und darüber ein langes weites Hemd. Ihre Gesichter sind braun, die Haut glatt, auch bei den älteren, der Gesichtsausdruck, ja, glücklich. Neun der zehn Männer singen und musizieren unverwandt weiter, als wir aus dem Dunklen hereinkommen. Einer hebt leicht den Kopf. Mehrere Sekunden blickt er mir direkt in die Augen und lächelt offen, was bisher kein Mann in diesem Land getan hat. Er sollte der einzige bleiben. Die Bauls von Kustia in Bangladesch haben sich in Trance gesungen. Mehr Menschen als sie und ihre paar Gäste fänden kaum Platz in dem quadratischen Betonraum mit der spärlichen Beleuchtung. Musik ist ihnen spirituelle Praxis, und wer will, darf daran teilhaben. Offiziell gehören sie der Staatsreligion des Landes an, dem Islam, doch praktisch buchstabieren sie Spiritualität auf ihre Weise. Ohne festen Wohnsitz, bettelarm und ohne Job leben diese bengalischen Mystiker, die sich "Baul" nennen. In Deutschland gäbe es nicht einmal einen Begriff für sie, bestenfalls ein gönnerhaftes "Aussteiger", wahrscheinlicher ein verächtliches "Penner". In Wirklichkeit widersetzen sie sich als spirituelle Gemeinschaft radikal den Anforderungen der Globalisierung, indem sie konsequent ihren eigenen Weg gehen.
Weibliche Bauls sind gleichberechtigt
Das bengalische Volk liebt die Gesänge der Bauls, ihren wichtigsten Zugang zum Göttlichen. Ihr zweiter Zugang macht sie suspekt, erhebt aber den Lebensentwurf in den Augen der Einheimischen zu einem Abenteuer, viel abenteuerlicher als das ökonomische, das wir als Ausländer wahrnehmen. Es ist nämlich Zufall, dass heute abend nur Männer musizieren; die Frauen sind einfach unterwegs. Weibliche und männliche Bauls leben gleichberechtigt ihren zweiten Weg der spirituellen Praxis: die Liebe - geistig wie körperlich. Seit Jahrhunderten tun Bauls damit fast unbehelligt, was andere Einheimische bis heute kaum wagen. Sind eine Frau und ein Mann nicht verwandt, kann bereits räumliche Nähe in Bangladesch tödlich enden. Die Vorschrift mag archaisch sein, sie einzuhalten wird auch in der Millionen- und Hauptstadt Dhaka gefordert.
Wir fahren mit der Autorikscha. Diese Motorroller mit einer seitlich offenen Rückbank und einem Sonnenverdeck sind die Taxis der Mittelschicht, durchaus gefährlich, weil jeder kleine Unfall die Insassen auf die Straße schleudern kann. Vor einer Kaserne bremst der Fahrer so, dass wir uns gerade noch festhalten können. Neben unserer Rückbank baut sich ein Bär von einem Soldaten auf, die Kalaschnikow im Anschlag. Er brüllt: "wäajugou"? War es klug zu sagen: "To the German Embassy?" Jedenfalls folgt die nächste Wortsalve: "Wascharelöschän". Das kennen wir schon, immer wollen sie in Bangladesch die Religion wissen. Die Antwort passt ihm nicht. Sollen wir uns als Muslime ausgeben? Das ist wahrscheinlich noch gefährlicher. Also nochmal: "Christian." Er wird noch lauter: "Wascharelöschän". Im Angesicht der Kalaschnikow wollen wir das Unverständliche unbedingt verstehen. Könnte er relation meinen? Wir sagen "married" - im sicheren Bewusstsein, dass wir nichts bei uns haben, womit wir das beweisen können. Aber wir haben es getroffen; von Deutschen will er keine Urkunde sehen. Verächtlich schnaubend bewegt er den Gewehrlauf von sich weg; der Fahrer beschleunigt, so gut er kann.
Weder Haut noch Körperkontur
Bangladescher fürchten ihre eigenen Soldaten und Polizisten. Wir verstehen sie besser nach dieser Geschichte, die uns kalt erwischte - unvorhersehbar, gefährlich, aber einmalig und gut ausgegangen -, sie aber kaum verwunderte. Von vorneherein haben wir unsere Kleidung den Gepflogenheiten des islamischen Staates angepasst - wir zeigen kaum Haut und keine Körperkonturen. Man lobt mich im Hotel, wenn ich als Frau über der Hose ein weites Kleid mit einem breiten Schal trage. Als Ausländerin bin ich trotzdem erkennbar. Erwachsene halten höflich Abstand und schauen mir heimlich hinterher, kleine Jungen nennen mich "Sister". Mich betteln sie an, nicht meinen Mann, weil die Schwester für die Kinder verantwortlich ist, und Ausländer automatisch als märchenhaft reich gelten. Was wäre, wenn ich als Muslima erschiene? Eines Tages mache ich, was zwar nicht alle, aber viele einheimische Frauen tun: ich lege ein Ende des Schals über den Kopf. In eine Richtung wirkt das wie erwartet: Die Kinder betteln nicht mehr. Der Rest ist ethnologisches Abenteuer. In der ganzen Welt werben Muslime mit dem Argument für das Tuch auf dem Kopf, es sichere den Frauen den Respekt muslimischer Männer. Dhakas Männer scheinen das Argument nicht zu kennen: Ich werde mehrfach angerempelt, und das wiederum demonstriert weltweit Respektlosigkeit.
Kein Respekt vor verschleierten Frauen
Ist das Zufall oder hat es System? Ich experimentiere. Kommt jemand entgegen, weiche ich genau so weit aus, dass er oder sie sich selbst ein wenig zur Seite bewegen müsste, um Körperkontakt zu vermeiden. Die Frauen tun das auch, wenn ich ein Tuch um den Kopf trage. Die Männer nicht, ja, sie neigen jetzt zum Gegenteil. Ihre Körpersprache sagt eindeutig: Du hast mir den Weg freizugeben. Ganz offenbar signalisiert das Tuch mehr als das, was ich geplant hatte. Sie lesen darin: Ich halte mich an Eure Regeln. Doch genau das trifft nicht zu, nicht zuletzt, weil ich gar nicht alle Regeln kenne. Die meisten Menschen in Bangladesch sind hilfsbereit, freundlich und zuvorkommend. Sie tun alles, damit wir in der Welt gut sprechen über sie und ihr geliebtes Land. Am liebsten würden sie ihre Gäste in schwarze Limousinen setzen, um sie vor allen Gefahren zu schützen. Sie verstehen nur schwer, dass wir gerne aus kulturellen Fehlern lernen und Abenteuer nicht scheuen. Dabei ignorieren sie konsequent, was das gefährlichste Abenteuer ihres Landes ist: der Straßenverkehr.
Dr. Barbara Knab ist Wissenschaftsautorin und Psychotherapeutin in München.