Abgeschoben in die Fremde
Heft 4/2008 Fremde Schwestern
Von Margarete Misselwitz
"Wer sind diejenigen, die wir als fremd definieren und als Fremde aus unserer Gesellschaft ausschließen? Was, wenn diese "Fremden" bei uns ihre Heimat haben, längst so sind wie wir und erst das Gefühl des Fremdseins erleben, wenn sie in ihrer formalen Heimat sind? Es geht um aus Deutschland abgeschobene junge Frauen im Kosovo, deren Schicksal in den Händen der deutschen Ausländerbehörden lag.
Eigentlich wurde ihnen seit ihrer Ankunft 1991 in Deutschland mit der Verwehrung eines Aufenthaltstitels deutlich gemacht, dass sie sich hier ja nicht zu Hause fühlen sollen. Aber Dyke (Dschüke) ist 1992 in Deutschland geboren und war dennoch hier zu Hause. Ihren Eltern wurde es nicht gestattet, arbeiten zu gehen, alle drei Monate befürchteten sie, ihren Duldungsstatus in Deutschland zu verlieren und abgeschoben zu werden. Dyke aber ging in die Schule, fand dort Freunde und versuchte möglichst der in der Familie schwirrenden Panik vor einer Abschiebung zu entfliehen. Schnell eignete sie sich einen schwäbischen Dialekt an. Ihr Traum war es, Krankenschwester zu werden und ein selbst bestimmtes Leben zu führen.
Doch im November 2005 trat das ein, wovor alle am meisten Angst hatten. Morgens um vier standen plötzlich sieben Beamte in ihrer Wohnung, verstellten die Tür und gaben der Familie eine halbe Stunde Zeit zum Packen, das Flugzeug warte schon. Alles ging sehr schnell. Unter Schock steht Gyke mit ihrer Familie am Flughafen in Pristina, jeder hält zwei Plastiktüten in der Hand und keiner weiß wohin. Ihr Haus wurde von Albanern zerstört, da sie zur Minderheit der Aschkali gehören. Irgendwann entscheidet der Vater, zu ihren Verwandten zu fahren. Diese sind nicht sehr begeistert, eine 6-köpfige Familie aufzunehmen. Aber wo sollten sie sonst hin? Die ersten drei Wochen konnte Gyke nichts essen, vier Wochen lang habe sie kein Wort gesagt.
Keine Chance
Als ich Gyke treffe, lebt sie seit anderthalb Jahren im Kosovo. Die Familie wohnt in einem winzigen Haus mit nur einem Raum, ohne Heizung und ohne fließendes Wasser. Die Mutter steht gebückt auf dem kleinen Gemüsefeld hinterm Haus. Jetzt sind wir Bauern, sagt Gyke traurig lächelnd. Und dennoch reicht es nur für zwei Mahlzeiten am Tag. Am meisten vermisse sie die Schule. In Deutschland war sie sehr gern in der Schule, im Kosovo geht das nicht mehr. Für die Schule fehlt das tägliche Busgeld. Hinzu kommt, dass Gykes Eltern sie nicht allein auf die Straße lassen. Als Aschkali und als junges Mädchen sei das zu gefährlich. Stattdessen muss Gyke zu Hause bleiben, sich um den Haushalt kümmern und als Gegenleistung für die Unterstützung der Verwandten die zahlreichen Kinder hüten. Sie war noch nie außerhalb ihres kleinen Grundstückes. Ihre kleineren Brüder schon.
Die wenigen Kontakte zur Außenwelt zeigten ihr, wie deutsch sie ist und wie fremd in der kosovarischen Nachkriegsgesellschaft. Im Kosovo, insbesondere in den Roma-Gemeinschaften ist es üblich, dass Frauen schon im Teenageralter verheiratet werden und Kinder bekommen. Gyke macht das Angst. "Die Frauen können hier gar nicht das Leben genießen" Hier, so meint sie, habe man keine Lust auf Leben.
Das Schicksal der aus Deutschland abgeschobenen Jugendlichen im Kosovo scheint immer gleich. Abschiebung bedeutet einen massiven sozialen Abstieg in eine verarmte Nachkriegsgesellschaft. Von Albanern werden Aschkali den Roma zugeordnet und als solche diskriminiert. Von den Romagemeinschaften begegnet ihnen ein Anpassungsdruck, dem sie sich aufgrund ihrer Bedürftigkeit nach Schutz und Solidaritätsleistungen beugen müssen. Dabei wird ihnen bewusst, das deren Normen und Werte, Verhaltens- und Denkweisen nicht den eigenen Erfahrungen aus Deutschland entsprechen. Dies trifft die Mädchen besonders hart. Mit dem Schulabbruch und dem gesellschaftlich und familiär auferlegten Stubenarrest geraten die jungen Frauen in eine Isolation, die um so schwerer zu ertragen ist, je ähnlicher sie ihren deutschen Freunden geworden sind. Ihr größter Wunsch ist die Rückkehr nach Hause - nach Deutschland. Es ist ein Heimweh, das wir in ihrer Situation genau so hätten.
Margarete Misselwitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bundestagsfraktion von Bündinis90/Die Grünen.