Auf schmalem Grat am Beginn des Lebens
Heft 1/2011 Himmel und Höhle
Von Ines Rein-Brandenburg
In dem Krankenzimmer stehen vier gläserne Kästen auf Augenhöhe, umgeben von Beatmungsmaschine und Herzmonitor, darin vier winzige Kinder, runzlig, rötlich, mit angeklebten Sonden und Schläuchen.
"Wiese" heißt die Station für Früh- und Neugeborene in der Cnopf'schen Kinderklinik in Nürnberg. Von den 28 Plätzen stehen zehn für die Intensivpflege zur Verfügung, um zu früh geborene Kinder aufzupäppeln. Mit den heutigen medizinischen und technischen Möglichkeiten haben Frühgeborene ab der 24. Schwangerschaftswoche eine Überlebenschance. Apparate sogen für Wärme und Nahrung, Eltern und das Pflegepersonal für die menschliche Wärme, für zärtliche Berührung und leise Stimmen, die dem kleinen Wicht vertraut werden. Aber nicht nur die Kinder, auch die Eltern brauchen hier eine besondere "Pflege", stellt sie die unerwartete Situation doch vor viele Fragen, Stress, Angst um das Leben ihres Kindes, nicht zuletzt viele Wochen geduldiges Ausharren und Hoffen.
Die Versorgung der Kinder hat Vorrang, betont die Kinderkrankenschwester Annette Link, aber wenn die Eltern dabei sind, kann man ja gleichzeitig miteinander reden. Medizinische Informationen werden immer zuerst von dem zuständigen Arzt oder Ärztin vermittelt, aber oft sind die Krankenschwestern danach gefragt, um das Arztgespräch zu "übersetzten" und Details noch einmal zu erklären.
Nähe von Anfang an
Vorbei sind die Zeiten, in denen Elternbesuch unerwünscht war aus Sorge vor Infektionen oder auch nur um die Abläufe der Klinik nicht zu stören. Heute weiß man, dass die menschliche Zuwendung so unentbehrlich für die Entwicklung des Kindes ist, dass sie die "Störungen" weit aufwiegt. "Wir wollen die Eltern von Anfang an hier haben", sagt Annette Link. Sie sollen eine Bindung zu ihrem Kind aufbauen, es streicheln und berühren. Eine Stunde täglich dürfen die Eltern das Frühgeborene aus dem Inkubator nehmen und auf nackter Haut liegend bei sich haben. Länger oder öfter nicht, denn "raus aus dem Inkubator ist auch Stress für die Kleinen", gibt Annette Link zu bedenken. Für die Mütter steht ein Raum zur Verfügung, in dem sie übernachten können. Abgepumpte Muttermilch wird über die Sonde gefüttert. Ein Tuch, das den Geruch der Mutter trägt, kann in das Wärmebettchen gelegt werden. Auch bei den Pflegenden soll nach Möglichkeit jedes Kind, jede Familie einige wenige feste Bezugspersonen von der Aufnahme bis zur Entlassung haben.
Und was tut sie, wenn das winzige Wesen nicht überlebt, wenn es zu schwach ist oder eine Krise eintritt? "Oft hilft es schon, einfach da zu sein und mit den Familien die schwierige Situation durchzustehen und mitzutrauern", sagt die erfahrene Krankenschwester. "Wenn ein Kind stirbt - oder auch in der Trauerphase danach - können Eltern jederzeit mit uns sprechen oder anrufen." Zur Erinnerung werden Fotos und ein Hand- oder Fußabdruck erstellt, die auch mit der Krankenakte aufbewahrt werden, so dass die Eltern auch später noch. Neben schriftlichen Handreichungen und Kontakten zu Selbsthilfegruppen bietet auch Klinik-Seelsorgerin Sonja Straub Unterstützung an. Annette Link meint aus Erfahrung, dass auch Geschwister einbezogen werden sollten. Kinder haben ihre eigene Art, das Geschehen zu verstehen und zu verarbeiten. Wenn Kindern erst ein Geschwisterchen angekündigt wird, das sie dann nie nicht zu sehen bekommen, "entwickeln sich leicht Phantasien, die schwieriger sind als die Realität."
Wenn ein Neugeborenes stirbt, ist eine der Krankenschwestern freigestellt, um sich um die Familie zu kümmern. Auch für die Profis ist dies nicht leicht. Die Kolleginnen stärken sich gegenseitig, besonders jüngere Schwestern werden von älteren oder erfahreneren begleitet.