Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Bevölkerungsentwicklung und Ehrenamt

Heft 4/2012 frei-willig

Von Ines Rein-Brandenburg

Die Baby-Boomer kommen in die Jahre. Der Ruhestand steht bevor - Zeit für ehrenamtliches Arbeiten, Helfen, Mitmachen, Gestalten - oder nicht?

Welche Lebensplanung, welche Prägung, welche Interessen haben die betroffenen Frauen?

Aktuell reif für den Ruhestand ist die so genannte 68er Generation. Sie gelten als politisch wach, frauenbewegt, interessiert und geübt, die Gesellschaft mitzugestalten. Andererseits übernehmen viele auch Großeltern-Aufgaben, etwa wenn die berufstätigen Kinder in der Nähe wohnen und dankbar für Unterstützung sind. Eigene Interessen, etwa Reisen oder Freizeitgestaltung ohne Verpflichtungen, werden selbstbewusster als früher vertreten. Nach einer anstrengenden Erwerbstätigkeit plus Haushalt plus Kindererziehung wollen sie den Ruhestand genießen und haben kein schlechtes Gewissen dabei. Hedonistisch, also eigennützig und genussorientiert zu sein, ist nicht mehr tabu.

Demografischer Wandel

Die Bevölkerung in Deutschland wird älter und kleiner. Statistiker bezeichnen die zwischen 1955 und 1965 Geborenen als geburtenstarke Jahrgänge oder (Baby-)Boom-Generation, die in den nächsten zwei Jahrzehnten das Rentenalter erreichen wird. Die Geburtenzahlen erreichten im Jahr 1964 ihren Höhepunkt mit mehr als 1,3 Millionen Lebendgeborenen. Diese Entwicklung endete 1965 abrupt mit dem so genannten Pillenknick. Seitdem sinken die Geburtenzahlen: 2002 war die Zahl der Geburten nur noch halb so hoch wie 1964. Die aktuelle Bevölkerungskurve ähnelt eher einem Pilz als einer Pyramide.

Damit schrumpft die Bevölkerung. Leben heute rund 82 Millionen Menschen in Deutschland, werden es 2025 noch 79 Millionen, 2050 voraussichtlich noch 70 Millionen sein. Wahrscheinlich werden auch in Zukunft noch weniger Kinder geboren, der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt. 2030 wird jeder zweite Mensch über 50 Jahre, jeder dritte über 60 Jahre alt sein. Zusätzlich steigt die Lebenserwartung - dank sozialer Sicherungssysteme, medizinischen Fortschritts und steigenden Bildungsstands. War 1901 zu erwarten, dass ein Junge 44,8 Jahre, ein Mädchen 48,3 Jahre lebt, so lag 2002 die durchschnittliche Lebenserwartung von Jungen bei 77,7, von Mädchen bei 82,8 Jahren. Man könnte sich länger gesellschaftlich engagieren oder anders gesagt: man hat mehr Lebenszeit, die es zu füllen und zu gestalten gilt.

Die Zukunft des Ehrenamts

Aber halt: Lebenszeit und Bevölkerungszahl allein sagen noch nichts über die Bereitschaft für ehrenamtliches oder bürgerschaftliches Engagement. Auf der Tagung "Habe die Ehre" befassten sich Vertreterinnen der Evangelischen Frauenarbeit in Bayern EFB in Stein bei Nürnberg mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Zukunft des Ehrenamts. Gestiegene Mobilität, der Wandel der Geschlechterrolle und Konkurrenz durch andere sinnstiftende Organisationen verändert schon jetzt die Struktur des ehrenamtlichen Engagements in der Kirche: Menschen wollen sich nicht mehr langfristig binden, und wählen sehr gezielt aus, wo sie sich einbringen. Dabei spielt auch das Arbeitsklima eine Rolle: In Umfragen geben über 80 Prozent als ersten Punkt die Freude an der Tätigkeit als Kriterium für ein Engagement an. Drei Viertel der Befragten ist es wichtig, nette Menschen zu treffen, anderen zu helfen und etwas für das Gemeinwohl zu tun.

Das liebe Geld

Eine oft unterschätze Rolle spielen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Statistiken belegen, dass sich Menschen häufiger ehrenamtlich engagieren, wenn sie sozial und finanziell abgesichert sind. Wer arbeitslos ist, mag zwar Freizeit haben, dafür aber weniger Selbstbewusstsein und Planungssicherheit. Wer die kleine Rente mit Minijobs aufbessern muss, ist zu erschöpft und frustriert für weitere Tätigkeiten. Die Schlussfolgerung: Sozialabbau gefährdet auch ehrenamtliches Engagement. Drohende Altersarmut und unsichere Beschäftigungsverhältnisse werden insbesondere für Frauen zum Hindernis für ein Engagement, warnte die Geschäftsführerin der Evangelischen Frauen in Deutschland EFiD, Eske Wollrad.

Der Dachverband evangelischer Frauenorganisationen unterstützt deshalb Forderungen an die Politik, ehrenamtliche Arbeit materiell besser abzusichern und dafür gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Wer sich engagiert, tut dies nicht erst im Rentenalter. Ehrenamtliche Arbeit sollte bei Besteuerung und Rentenansprüchen berücksichtigt werden. Erworbene Qualifikationen wie Organisations-, Kommunikations- und Teamfähigkeit sollten auch in der Erwerbsarbeit anerkannt werden. Gesetzlich festgelegt werden sollte ein Anspruch auf Weiterbildung mit Erstattung der Kosten und eine bundeseinheitlich geregelte Freistellung.

In der bayerischen Landeskirche wurde mit dem Ehrenamtsgesetz die Auslagenerstattung gesichert - aber die Praxis kennt viele Gründe, warum die Umsetzung schwammig bleibt. Da ist die Verführung der kleinen Beträge - es sind ja nur ein paar Euro, und soll ich wegen jedem Briefporto die Hand aufhalten? Da ist die fehlende Quittung und der bürokratische Aufwand, und auch der Gruppendruck, der von den Besserverdienenden ausgeht. Eine Teilnehmerin der Tagung berichtete, dass sie ihre Mitwirkung im Kirchenvorstand beendete, nachdem ein Mit-Kirchenvorsteher vollmundig erklärte: "Das Kirchenvorstands-Wochenende (ein Arbeitstreffen des Gremiums), das bezahlen wir doch selbstverständlich selbst, wo doch die Gemeinde in Finanznöten ist." Die Gruppe reagiert überrumpelt und Einzelnen wird es peinlich, gegen solche gedankenlosen oder prahlerischen Vorgaben eine Diskussion zu eröffnen und sich selbst bloßzustellen: Nein, ich habe dafür kein Geld übrig.

Auch ein anderes Beispiel zeigte, dass oft stillschweigend vorausgesetzt wird, dass Ehrenamtliche eigenes Geld zuschießen. Bei einem Projekt, bei dem "Paten" mit sozial benachteiligten Jugendlichen Freizeit gestalten, stellt die Trägerorganisation zwar eine Pauschale von zehn Euro pro Treffen zur Verfügung, rechnet aber nicht genau nach, wie schnell dieser Betrag etwa bei einem Schwimmbad- oder Museumsbesuch mit zwei Personen überschritten ist: Eintritt, Fahrtkosten, vielleicht noch ein Eis....

Gut organisiert

Die Bereitschaft, sich langfristig zu binden, geht schon seit Jahren zurück. Es erweist sich als notwendig, neue Formate zu entwickeln: Teamarbeit ist gefragt, freie Zeiteinteilung, befristete Projekte. Diese brauchen ein sinnvolles "Projektmanagement". Immer wieder neu müssen Mitarbeitende geworben werden. Nicht zuletzt sollten auch Hauptamtliche besser für eine effiziente Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen qualifiziert werden, legte Eske Wollrad dar. Weiter entwickelt werden müssen Wege, um Ehrenamtliche in Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen einzubeziehen, sie professionell zu unterstützen und zu begleiten. Wer sich einbringt, tut dies selbstbewusst, will eigenständig und kreativ handeln und versteht sich nicht als Handlanger von Hauptamtlichen. Als Aufgabe der Evangelischen Frauenarbeit formulierte Wollrad, die Kompetenzen der Ehrenamtlichen zu fördern, auf eine Kultur der Wertschätzung zu dringen, und auch mit nicht-kirchlichen Institutionen, Freiwilligenagenturen oder Seniorenbüros zu kooperieren. Die Erkenntnisse sind keineswegs neu. Es bleibt allerdings eine dauernde Herausforderung, sie in Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen in die Praxis umzusetzen. Das gelingt nicht, wo alte hierarchische Strukturen in den Köpfen oder in der Praxis gepflegt werden - frustrierte Ehrenamtliche ziehen sich schnell, vor allem aber dauerhaft zurück.