Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Da wurden beiden die Augen geöffnet

 

Heft 4/2014 Un-verschämt

Von Sabine Zoske

 

Ungehorsam ist keine Sünde. Freiheit macht erwachsen, aber auch Arbeit. Gott zieht an. Das sind Evas Geschenke an die Menschheit. 1. Mose 3 erzählt davon, wie die Scham zum Menschen kam. Es wird Zeit, dies ernst zu nehmen.

Nicht ganz so ernst zu nehmen ist die Einteilung der biblischen Bücher in Kapitel. Die ist erst im Mittelalter erfolgt und führt gelegentlich in die Irre, hier auch. Denn - abgesehen vom schon früh notierten Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen - der Bericht über das Ende der paradiesischen Existenz des Menschen setzt bereits mit dem letzten Vers von Kapitel 2 ein. Und dieser Vers (2, 25) gibt auch das Thema vor: "Und obwohl die beiden nichts anhatten, der Mensch als Mann und seine Frau, schämten sie sich nicht." In Kapitel 3 folgt dann der "Fall in die Scham", wie Frank Crüsemann die Geschichte in seiner inspirierenden Auslegung überschreibt.

Mit Nacktheit also hat die Scham zu tun. Und - die folgenden Verse sprechen das immer wieder an - sie hat mit dem Sehen zu tun, mit dem Erkennen. Was für ein schillerndes Wort das ist, zeigt ein Blick ins Wörterbuch der Synonyme. Wissen, Kenntnis, Bewusstsein und Klugheit tauchen da unter anderem auf, aber auch Worte wie Einsicht, Einblick und Einsehen. Und die Bibel spricht auch dann von Erkennen, wenn es um die sexuelle Begegnung zweier Menschen geht. Da kommt dann das Verlangen ins Spiel, die Lust, von der in 1. Mose 3 auch immer wieder die Rede ist.

Erkenntnis, die durch den Bauch geht

Nachdem Adam, der Mensch als Mann, und Eva, der Mensch als Frau, sich von der ebenfalls nackten und überaus klugen Schlange haben hereinlegen lassen und die Frucht des Baums der Erkenntnis gegessen haben, sehen sie ihre Nacktheit mit anderen Augen. Gesehen haben sie sie mit Sicherheit vorher auch schon, aber nun ist ihr Blick ein anderer. Es ist der Blick des Erkennens in der ganzen Bandbreite dieses Wortes. Die Blitzartigkeit dieses Erkennens und die Schnelligkeit, mit der sie Abhilfe zu schaffen versuchen, zeigen: Die Erkenntnis geht hier nicht durch den Kopf und die Scham, die sie plötzlich empfinden, auch nicht. Da sie vielmehr die Fähigkeit zur Erkenntnis so "zum Fressen gern" hatten, dass sie sie sich mit der Frucht einverleibt haben, sitzen beide, Erkenntnis und Scham, nun auch im Bauch. Und aus dem Bauch heraus wissen Adam und Eva: Es ist gut, etwas anzuhaben. Nicht gut ist es, nackt zu sein. Die erste Erkenntnis von Gut und Böse ist keineswegs eine moralische, wenn auch eine, die sofort Schamgefühl verursacht. Denn die beiden sehen sich eben plötzlich und wortwörtlich als Bloß(!) gestellte. Und sie bemerken ihr jeweils eigenes Bedürfnis nach Intimität und Abgrenzung und werden so und jetzt erst einander zu dem Gegenüber, als das Gott sie gedacht hat (Kap. 2, 19).

Ein Ausblick zum Schluss: In dieser Geschichte von Erkenntnis und Scham regiert, wie gesagt, nicht der Kopf, sondern der Bauch. Entsprechend kopf- und hilflos ist auch Adams und Evas Versuch, Abhilfe zu schaffen. Ihnen wirklich zu der zu verhelfen, bleibt Gott überlassen. Ja, Gott setzt die beiden vor die Tür des Paradieses und stellt sie vor die Konsequenzen ihres Tuns. Aber Gott befreit sie auch von der Scham. Durch schwere, aber sinnvolle Arbeit (labour bezeichnet im Englischen auch die Wehen). Und durch Kleidung. "Und Adonaij, also Gott, machte selbst für den Menschen als Mann und für seine Frau Gewänder für die Haut und bekleidete sie (V. 21)." Die Scham als immer vorhandene Möglichkeit nehmen sie mit. Aber ihre neue Welt betreten sie - für jetzt - scham-los.

Und übrigens: Die Bibel erzählt nichts davon, wie sie an den Konsequenzen ihres Tuns tragen. Mit dem verfluchten Acker plagt sich Kain, während Abel (darin noch dem Garten Eden verbunden) sozusagen Früchte pickt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Pfarrerin Sabine Zoske ist promovierte Theologin und arbeitet in der Evangelischen Kirche im Rheinland als Theologische Referentin im Landeskirchenamt.

Zum Weiterlesen:

Frank Crüsemann, Der "Fall in die Scham" - oder: Warum Gott die Menschen selbst bekleidet. Bibelarbeit zu Genesis 3, Deutscher Evangelischer Kirchentag, Bremen 2009. Die hier entwickelten Gedanken verdanken sich stark dieser Bibelarbeit. Die biblischen Zitate dieses Artikels sind der Bibel in gerechter Sprache entnommen.