Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Das Glück kommt aus altem Papier

Heft 4/2011 "Im Anfang war das Wort ..."

Ein Besuch im Landeskirchenarchiv

Von Ines Rein-Brandenburg

 

In den Akten geht es immer um Menschen. Für Andrea Schwarz ist das ist "die Langeweile-Bremse" schlechthin. Die promovierte Historikerin leitet das Landeskirchliche Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB).

Mag sein, dass sich auf den Jahrzehnte und Jahrhunderte alten Akten Staubpartikel abgelagert haben. Aber 'staubig' im Sinne von tot oder öde sei die Materie nie.

Andrea Schwarz verwaltet 240.000 Bibliothekseinheiten, das sind aneinander gelegt 13 Kilometer Archivmaterial und fünf Kilometer Bücher. In der Veilhofstraße in Nürnberg lagern Urkunden - die älteste aus dem 13. Jahrhundert -, Briefwechsel, private Nachlässe, Protokolle aus Synoden, Dokumente aus den Dekanaten. Wenn voraussichtlich Ende 2013 ein Neubau fertig sein wird, können auch die derzeit ausgelagerten Materialien zugänglich gemacht werden. Immer mehr Privatpersonen wollen hier recherchieren. Waren es früher einzelne Spezialisten, kommen heute durchschnittlich zehn Personen pro Tag. Auch in dieser Beziehung hat Andrea Schwarz mit Menschen zu tun, denn zur Arbeit der Archivare gehören Serviceleistungen und Beratung im LAELKB ebenso wie für die Archivpflege in den bayerischen Dekanaten und Gemeinden.

Abschied von katholischer Vergangenheit

Temperamentvoll, engagiert und fröhlich auftretend, farbenfroh gekleidet, entspricht sie keineswegs dem Klischee des Bücherwurms. In einer Eigenschaft unterscheidet sie sich besonders von Vielen, die das Historische lieben: sie ist eine 'Wegwerferin'. "Ich bin glücklich, wenn ich was entsorgen kann." So bleiben abgeschlossene Projekte überschaubar und wachsen ihr nicht über den Kopf.

Als Tochter einer Lehrerin und eines Polizisten wurde Andrea Schwarz am Waginger See geboren und geprägt von einer tief katholischen Umgebung und Familie. Sie war ein 'ernsthaftes Kind', sagt sie von sich selbst - auch religiös. Aber als Mädchen in der katholischen Kirche erlebte sie sich benachteiligt, durfte nicht ministrieren, erlebte keine Frauen im Priesteramt oder anderen verantwortlichen Positionen. "Ich fühlte mich regelrecht gekränkt, obwohl mich nie jemand persönlich gekränkt hat", blickt sie zurück. "Ich wollte selber denken", aber kirchliche Hierarchien und Lehrvorschriften bremsten sie aus. Als sie ihren Ehemann kennen lernte, erlebte sie eine protestantische holsteinische Familie. Sie wurde zunehmend neugierig auf Martin Luthers 'Freiheit eines Christenmenschen' und stellte in Blick auf ihre katholische Vergangenheit fest: "Ich ertrag's nicht mehr". 1994 trat sie zur lutherischen Kirche über. Münchens St. Markus-Gemeinde wurde ihr zur Heimat, wo sie sich unter anderem im Kirchenvorstand engagierte. "Dort fühlte ich mich wie ein Fisch im Wasser."

Frühe Neugier auf Historisches

Vergangenes faszinierte sie von Kindheit an, Omas Geschichten von früher ebenso wie der Dorffriedhof. Dort habe sie mit Vorliebe die Grabsteine studiert, auf denen Porzellan-Medaillons die Portraits der Verstorbenen zeigten. Wer waren die Menschen, die da abgebildet waren, wie hatten sie gelebt? So stand ihr Berufswunsch ungewöhnlich früh fest: Arbeiten in einem Archiv. Dazu studiert man Geschichte, ergänzend das Fach 'geschichtliche Hilfswissenschaften', das notwendiges Handwerkszeug wie alte Schriften, Urkunden-, Siegel- und Wappenkunde vermittelte. Zum Studium ging sie nach München. Dort promovierte sie über das Schenkungsbuch des Benediktinerklosters Prüfening und absolvierte den dreijährigen Referendarkurs in der Bayerischen Archivschule. Nach dem Zweiten Staatsexamen 1987 arbeitete sie 14 Jahre lang im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, weitere vier Jahre im Staatsarchiv München. Da wurde es Zeit für mehr Verantwortung. Spontan am Frühstückstisch, erinnert sie sich, überlegte sie mit ihrem Mann, was sie gerne tun würde: Ein evangelisches Kirchenarchiv - das wär's! Archivare kennen sich - steht nicht Helmut Baier, der vormalige Leiter des LAELKB, kurz vor dem Ruhestand? Sie bewarb sich und übernahm 2004 die Leitung des Archivs der Landeskirche. "Es macht mir jeden Tag unglaublich viel Spaß", strahlt sie. "Welch ein Glück, dass meine kindliche Idee von diesem Beruf stimmte."