Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Das Kreuz - Vor-Bild des Anfangs

 

Heft 2/2012 Das Kreuz mit dem Kreuz

Von Karin Spangler

 

Es ist uns auf den Leib geschrieben - das Kreuz. Es verleiht der Anatomie Stabilität. Bei aufrechter Haltung und mit ausgebreiteten Armen, bilden wir selbst die Kreuzform ab. Wir haben Kreuzbänder, ein Kreuzbein, Kreuzschmerzen, wir sprechen vom Kreuzbiss.

Das Kreuz als Symbol ...

Wenn wir uns selbst mit dem Kreuz bezeichnen, hilft es, bei uns selber zu sein und es zeigt gleichzeitig, wie wir uns geistig und leiblich ausrichten. Diese Dimensionen sind seit alters her im Kreuz angelegt. Im Symbol wird nicht nur Bewusstes und Begriffliches verarbeitet, sondern auch Gefühle, Intuition und Empfindung.

Im christlichen Kontext denken wir bei diesem Stichwort an das Kreuz Christi. Wir verbinden damit obwohl ein Martersymbol, ein Hinrichtungsgerät, als auch die Auferstehung, den Lebensbaum. Das Kreuz ist so alt wie die Menschheit. Es ist in vielerlei Hinsicht ein Zeichen der Ordnung und des Ausgleichs. In der Mitte fließen die Pole zusammen: Oben, unten, links und rechts. Gegensätzliches trifft und verbindet sich, ohne dass es spaltet. Leben und Tod, Freude und Leid, Lust und Schmerz, Gut und Böse, gehören zusammen.

Das Kreuz kann als vor-bildhafte Form des Anfangs verstanden werden. In mannigfaltigen Formen verdeutlicht es die bildliche Kurzformel für die Göttin. Es ist die Zeichensprache der frühen Menschen, die das Leben spendende Weibliche verehrten. Kleine Anhänger und weibliche Figuren repräsentieren die 'Große Mutter', die über die leibliche Mutter hinausweist. Weibliche Statuetten, wie sie aus Ägypten bekannt sind, finden sich in stilisierter Form in mittelalterlichen Steckkreuzen wieder.

Die 'Große Mutter' bezieht sich auf die Vorstellung einer Göttin in der Zeit der Sesshaftwerdung der Menschen vor etwa 10 000 Jahren. Die Frau stand damals als Mutter und Priesterkönigin im Zentrum des Gemeinwesens.

Rund 30 000 Funde von etwa 3000 Fundstellen in Südosteuropa zeugen davon, dass in den örtlichen Gemeinschaften eine Muttergottheit verehrt worden ist.

Als weitere Variante taucht das Kreuz in der ägyptischen Sakralkunst das 'Anch'- oder Lebenszeichen auf. Wir sprechen vom ägyptischen Henkelkreuz. Auch hier sind die Kopfform und die ausgebreiteten Arme unschwer zu entdecken. In der Astrologie kennen wir das Kreuz als Signet für den Venusstern und als Zeichen für 'weiblich'.

... steht für Liebe und Leben

Und schließlich fasziniert noch eine weitere Entdeckung von Carola Meier-Seethaler. Eine Gottheit in Catal Hüyük (Türkei) ist mit geöffneten Armen und Beinen dargestellt. Sie erscheint in Gebärhaltung und ist bereit zum Liebesakt. Vermutlich hat sich daraus als Stilisierung das doppelschenklige Kreuz entwickelt.

Alte 'Deutespuren' des Symbols sind weiblich und mütterlich. Die offene Haltung der Großen Mutter steht für Liebe und Leben. In einer ökumenischen Zeitschrift für den Religionsunterricht wird deshalb betont, dass das Kreuz in seiner religionsgeschichtlichen Symbolik ein starkes Humanitätssymbol ist und dafür plädiert, dass in Schulen, im Unterschied zu Kruzifixen, sehr wohl Kreuze hängen sollten.

Nach dem sogenannten Sündenfall gab Adam seinem Weib den Namen Eva, denn sie war die Mutter aller Lebenden. Die geachtete Lebensspenderin hatte nur eine Bedingung anzunehmen: sie sollte ihrem Mann untertan sein. Sie darf also heißen, was sie ist, sie darf aber nicht mehr sein, wer sie ist. Das ist das Signal in der biblischen Urgeschichte, durch welches die 'Große Mutter' Abwertung erfuhr und zweitrangig wurde. Später wurde aus dem mütterlichen Kreuz ein Foltersymbol. Wie gut, dass die archäologischen Spuren das Vor-Bild des Anfangs bewahren.

Karin Spangler ist Diplom-Religionspädagogin (FH) in Heilsbronn.

Zum Weiterlesen:

Georg Baudler, Glaubenssymbol - Humanitätssymbol; in: Ökumenische Zeitschrift für den Religionsunterricht 26. Jg., Heft 1/1996, S. 29ff. Umfangreiche Forschung in: Carola Meier-Seethaler, Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männlicher Macht. Ursprung und Wandel großer Symbole, Zürich 1993. Nur noch online bestellbar: www.opus-magnum.de