Der Biopiraterie den Boden nehmen
von Brigitte Neumann
Im 16. Jahrhundert brachten die Spanier die Kartoffel aus Südamerika nach Europa. Niemand kam auf die Idee, die indigenen Völker Südamerikas für den Nutzen, den das entwendete Saatgut im Laufe der Jahrhunderte den Europäern brachte, zu entschädigen. Das war Biopiraterie.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert drangen global agierende Pharma- und Saatgutkonzerne immer tiefer in artenreiche Regionen Asiens, Afrikas und Südamerikas vor und entwendeten traditionelle Lebensmittel - und Heilpflanzen, um deren Saatgut für eigene Zwecke zu züchten. Wieder dachte niemand daran, diejenigen, aus deren Kulturen die Pflanzen und das Wissen um deren Wert und Wirkung kamen, am Ertrag gewinnbringender Patente zu beteiligen. Mehr noch: Die Konzerne erwerben Patente auf ihre Züchtungen, bringen sie zurück in die Herkunftsgebiete, verkaufen sie dort teuer und haben gleichzeitig die Macht, den Bauern zu verbieten, dass sie weiterhin ihr eigenes Saatgut verwenden. Moderne Biopiraterie zieht damit einen Biodiversitätsverlust (Artenverlust) und noch mehr Verarmung und Verschuldung ohnehin schon armer Bevölkerungsgruppen nach sich.
Indien und der Reis
Über Jahrhunderte entwickelten vor allem die Frauen der indigenen Stämme Indiens ihr Saatgut, das den unterschiedlichen, oft herausfordernden Bedingungen des Bodens und der Umgebung optimal angepasst wurde. Sie tauschten, kreuzten und erzielten eine erstaunliche biologische Vielfalt (Biodiversität) von schätzungsweise mehr als 50 000 verschiedenen Reissorten, von der alle satt wurden. Bis die Konzerne kamen und in Laboren mitmendelten. Heute herrscht Hunger in den betroffenen Gebieten. Die Bauern dürfen ihr bewährtes eigenes Saatgut nicht mehr säen, sondern müssen patentierte Saaten der Globalisten jährlich neu mit Geld erwerben, das sie nicht haben.
Frauenpower gegen Großkonzerne
Wieder waren es Frauen, die aufstanden und diesen Fehlentwicklungen eine Öffentlichkeit gaben. In Indien allen voran die Quantenphysikerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva. Das Leben ist in seiner ganzen Verschiedenheit und Andersartigkeit für Shiva ein zu schützendes Gut. Deshalb engagiert sie sich mit funkelnden Augen, empathischem Lächeln und gewinnender Unerbittlichkeit für das Leben, die Artenvielfalt und die Souveränität der menschlichen Gemeinschaften. Gleichzeitig gründeten sich weltweit andere Initiativen gegen Biopiratierie.
Als Meilenstein für deren Erfolg gilt das Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls am 14. Oktober 2014. Es bietet einen Rahmen für den Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich und wurde schon im Oktober 2010 aufgesetzt. Voraus gingen sieben Jahre intensiver Arbeit der internationalen Staatengemeinschaft. Vier Jahre später hatten endlich alle 50 beteiligten Staaten unterschrieben, und das Protokoll trat in Kraft. Widerstände gab’s vor allem von Seiten der Industriestaaten. Ein erster Schritt ist getan. Die Vereinbarungen des Nagoya-Protokolls tatsächlich umzusetzen, bedarf noch eines weiten Wegs.
Korrupt als kooperativ
Nach wie vor räubern Saatgut- und Pharmakonzerne das Wissen um alte Arten und deren Pflanzenbestände. Wie den Neembaum, der bei den Adivasis, indischen Ureinwohnern, der ‚Dorfdoktor‘ ist und vom Insektenvernichtungsmittel bis zur entzündungshemmenden Wundkompresse dutzende Wirkstoffe liefert. Die Adivasis leben unterhalb des Kastenwesens und haben selbst in Indien keine Rechte auf ihre Pflanzen. Das verschärft ihre Not und sie brauchen Unterstützung von außen. Seit Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls haben Initiativen gegen die Biopiratierie und wir alle immer noch viel zu tun - und endlich die völkerrechtliche Legitimation dazu.
Diplom-Ökotrophologin Brigitte Neumann arbeitet als Journalistin in Erlangen