Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Die Flucht nach Ägypten - und heute?

 

Heft 1/2015 Auf der Flucht

Von Heidrun Hemme

 

Bethlehem, im Jahr 3 vor unserer Zeit: Alarm in allen Häusern. Soldaten sind auf dem Weg in die Stadt. Diejenigen, die es schaffen, fliehen: aus dem Haus, aus der Stadt, aus dem Land. Dabei sind auch Maria und Josef mit dem neugeborenen Kind. Es hat geheißen, dass sie alle Jungen unter 2 Jahren töten werden. Herodes, der Herrscher des Landes, fürchtet um seinen Thron - der angeblich neue König der Juden soll aus Bethlehem kommen. Also lässt er sie verfolgen, lässt alle männlichen Kinder töten, die in den letzten zwei Jahren geboren wurden. Die Soldaten tun, was ihnen befohlen wird, folgen einem tyrannischen König.

Mindestens eine kleine Familie kann sich retten, so erzählt das zweite Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Maria und Josef fliehen mit ihrem Erstgeborenen, nur das Nötigste haben sie dabei. Ein Bote hatte sie gewarnt. Die Flucht führt sie ins Ausland, nach Ägypten.

Tschetschenien, 2006: Bürgerkrieg im Land. Rebellen, russische Soldaten, islamistische Guerillas liefern sich trotz Verhandlungen und Friedensverträgen auf politischer Ebene heftige Kämpfe, die auch die Zivilbevölkerung betreffen. Alhast und seine Frau Aset geraten zwischen die Fronten. Während sich der Vater versteckt, werden seine Frau und die Kinder von schwer bewaffneten Männern bedroht und zum Aufenthaltsort von Alhast "befragt". Schläge, an den Kopf gehaltene Waffen, Androhung von Folter können nichts aus ihnen herausbringen - sie wissen nichts darüber, wo der Vater und Ehemann sich versteckt hält.

Später nutzen sie die erste Gelegenheit, aus dem Land zu fliehen. Die Kinder sind sechs, vier und zwei Jahre alt. Die Flucht führt sie ins Ausland, nach Polen.

Ägypten, um die Zeitenwende: Maria und Josef leben mit ihrem Erstgeborenen Jesus in Ägypten. Maria kümmert sich um das Kind, um Haus und Hof. Josef findet bald Arbeit als Zimmermann, das hat er gelernt. Die Arbeit sichert ihnen den Lebensunterhalt. Aus der Ferne verfolgen sie die Situation in der Heimat. Sie möchten gern zurück, auch wenn sie hier ihr Auskommen haben. Aber solange König Herodes in Judäa herrscht, ist an eine Rückkehr nicht zu denken.

Polen, 2011: Aset und Alhast sind mit ihren mittlerweile 5 Kindern in einer Sammelunterkunft angekommen. Ihre Bitte um Asyl ist mit einem "subsidiären Schutz" beantwortet worden, das heißt, sie dürfen für ein bis zwei Jahre in Polen bleiben, dann wird der Antrag neu geprüft und entschieden. Eine Arbeitserlaubnis hat Alhast erst nach längerer Zeit bekommen, Arbeit nicht. Selbst Einheimische haben Schwierigkeiten, einen bezahlten Job zu finden - und erst muslimische Ausländer? Finanzielle Hilfe vom Staat ist gering, der Schulbesuch für die größeren Kinder kaum erschwinglich. Heimlich flüchten sie über die Grenze nach Deutschland. Sie haben gehört, dass sie dort bessere Möglichkeiten und Chancen haben für ein Leben in Frieden und Freiheit.

Ägypten, um das Jahr 3: Der tyrannische König Herodes ist verstorben. Zwar herrscht sein Sohn nicht minder grausam, aber Maria und Josef trauen sich doch zurück nach Israel, in die Provinz Galiläa. Das fast ihre Heimat, die Sprache ist ihre, die Mentalität gleich. Sie sind froh, dass sie in Nazareth ein neues Zuhause finden.

Deutschland 2014: Aset und Alhast sind angekommen mit ihrer Familie. Weil die Sammelunterkünfte überbelegt sind mit wurde ihnen eine Wohnung in einem oberfränkischen Dorf zugewiesen. Dort haben sie sich schnell eingelebt, sich zurechtgefunden in dem anderen Gesellschaftssystem. Aber dieses System hat keinen Platz für sie: Sie sollen abgeschoben werden nach Polen. Aset sagt: "In Polen können wir nicht leben, wir haben den falschen Glauben und die falsche Nationalität. Ich gehe mit den Kindern zurück nach Tschetschenien. Alhast ist dort nicht sicher, er bleibt in Russland, hofft dort auf Arbeit." Nach europäischen Vereinbarungen hat die Familie aber nur in Polen ein Recht auf Schutz, weil sie dort auf ihrer Flucht als erstes einen Antrag gestellt hat.