Fahr- und Flug-Emanzipation
Von Ines Rein-Brandenburg
... und drinnen waltet die züchtige Hausfrau." Friedrich Schillers Gedicht von der Glocke zeichnet das klassische Sittenbild: Die Frau sitzt fest, und der Mann "muss hinaus ins feindliche Leben". Es kostete Frauen zähe Kämpfe, dies zu ändern.
Der Schiller-Klassiker entstand 1799. Entdeckungsreisen und die Kolonialisierung ferner Kontinente waren in vollem Gange. Naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen veränderten die Mobilität. 1768 veränderte James Watt vorhandene Modelle so, dass er als Erfinder der Dampfmaschine gilt. Im folgenden Jahrhundert wurden diese Entwicklungen in neue Verkehrsmittel umgesetzt. Frauen blieben zunächst Zuschauerinnen. Bevor Frauen eigenhändig eine Kutsche lenkten, Fahrrad, Auto fahren durften, Ballon fuhren sowie Flugzeuge fliegen konnten, hatten sie enorme gesellschaftliche und auch moralische Widerstände zu überwinden.
Kutsche ohne Pferd
1886 baute Carl Benz das erste, dreirädrige Benzinauto. Von den Zeitgenossen wurde das Gefährt als "Kutsche ohne Pferde" ziemlich verspottet. Seine Frau Berta hatte sich 1871, noch unverheiratet, ihre Mitgift auszahlen lassen, um ihrem Verlobten die Weiterführung seines Unternehmens zu ermöglichen. Anfang August 1888 fuhr sie mit ihren beiden Söhnen Richard und Eugen im Benz Motorwagen Nr. 3 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim, und drei Tage später auf einer anderen Strecke wieder zurück. Wohl stellen mittlerweile Chronisten fest, dass nicht sie, sondern einer der beiden Söhne gefahren sei, aber diese erste erfolgreiche Überlandfahrt, noch dazu mit einer Frau, zerstreute viele Vorbehalte und trug wesentlich zum Durchbruch des Automobils bei.
Die Gattinnen anderer Automobilhersteller wie Sophie Opel nahmen vor dem Ersten Weltkrieg erfolgreich an Wettbewerben teil. In den 1920er Jahren gab es eine ganze Reihe von Motorsportlerinnen, die respektable Ergebnisse erzielten. Vor dem Ersten Weltkrieg waren rund 200 Frauen in den verschiedenen Automobil-Clubs organisiert. In den 1920er Jahren erwarben immer mehr Frauen den Führerschein. Schließlich entstand 1926 mit dem Deutschen Damen-Automobil-Club DDAC sogar ein spezieller Verein für Autofahrerinnen, bis heute der einzige rein weibliche deutsche Automobilclub. (www.ddac.de)
Die erste Taxifahrerin Deutschlands war die gebürtige Ungarin Mary von Papp, die 1907 in Berlin das Lenkrad ergriff. Sie zeigte auch in anderen Bereichen Abenteuerlust und nahm sogar Flugunterricht. Erst in den 1960er Jahren nahm die Zahl der Autofahrerinnen in Westdeutschland deutlich zu. 1965 besaß etwa ein Fünftel aller Frauen einen Führerschein. In Ostdeutschland setzte diese Entwicklung deutlich später ein, doch dann umso rasanter. Anfang der 1970er Jahre waren in der DDR etwas mehr als die Hälfte aller Fahrschüler Frauen. Dieses Verhältnis erreichte man in Westdeutschland erst rund 10 Jahre später.
Frauen gehen in die Luft
Seit die Gebrüder Montgolfier 1773 den ersten bemannten Heißluftballon vorführten, gilt Frankreich als Mutterland des Ballonflugs. Jeanne-Geneviève Labrosse, deren Ehemann André-Jacques Garnerin den Fallschirm erfand, fuhr am 10. November 1798 als erste Frau der Welt einen Ballon selbständig. Copilotin war eine Miss Henry aus England, so dass diese Ballonfahrt auch als der erste Flug mit einem nur weiblichen Team bezeichnet werden kann. Die erste Ballonfahrerin Deutschlands hieß Johanne Wilhelmine "Minna" Reichard. Sie fuhr am 16. April 1811 von Berlin nach Genshagen. Bis 1820 führte sie 17 Fahrten aus, die letzte zum zehnten Oktoberfest in München.
Es war ebenfalls Labrosse, die am 12. Oktober 1799 als erste Frau der Welt einen Fallschirmsprung unternahm. Sie sprang aus 900m. Nur zehn Tage später wagte Elise Garnerin den Sprung aus 1000 Metern Höhe. Sie ließ sich nicht beeindrucken von den warnenden Stimmen der Ärzte: "bei solch gewagten Sprüngen könnte der Druck der Luft den zarten Organen eines jungen Mädchens gefährlich werden". Die Französin trat auch als Ballonfahrerin und Luftakrobatin in Erscheinung und wurde Vorbild für viele andere Artistinnen.
Mit Motorflugzeugen erreichten auch für Fallschirmsprünge immer größere Höhen. Die in München geborene Lola Schröter stellte 1931 den Höhenweltrekord mit einem Sprung aus 6000 Metern auf, 1932 in Kiel aus 7350 Metern. Die nur 1,44 Meter große Frau beeindrucke auf Flugschauen in ganz Deutschland das Publikum. Nach über 150 Fallschirmsprüngen sattelte sie auf Kunstflug um. Als sie mit einem nicht versicherten Sportflugzeug havarierte, stellte sie fest: "Kunstflug erlernen ist bei einigermaßen guter fliegerischer Veranlagung weiter nichts als eine Geldfrage und nichts anderes - zum Fallschirmspringen aber gehört in allererster Linie Mut, wirklicher Mut."
Tollkühne Fliegerinnen
Den Durchbruch in der Fliegerei stellte der erste erfolgreiche Motorflug der Gebrüder Wright 1903 dar. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängten mehr und mehr Frauen in die Fliegerei. Allen gemeinsam war, dass sie von Kindheit an vielseitig an Technik, Sport und anderem "Männerkram" interessiert waren und mit großer Zähigkeit allen Diskriminierungen trotzten: Widerstände ihrer Familien, Verdrängung, Ablehnung und Sabotage durch männliche Fliegerkollegen, Bruchlandungen mit schweren Verletzungen und ständige Finanzprobleme.
Die Amerikanerin Amelia Earhart erlangte internationale Berühmtheit als sie am 17. und 18. Juni 1928 als erste Frau in einem Flugzeug den Atlantik überquerte - zwar "nur" als Passagierin, wurde sie als Heldin gefeiert und zur "Frau des Jahres" gewählt. Ihre Popularität nutzte sie, um bei Interviews und Vorträgen "die Frauen aus dem Käfig ihres Geschlechts herauszuholen". Sie engagierte sich für Frauenrechte und betonte immer wieder, dass an Frauen keine anderen Maßstäbe angelegt werden sollten als an Männer, aber auch, dass Frauen "den Hinweis auf ihr Geschlecht schon viel zu lange als Ausflucht benutzt" hätten. 1932, fünf Jahre nach Charles Lindbergh, überquerte sie als erste Frau den Atlantik im Alleinflug. 1935 überflog sie als erster Mensch im Alleinflug den Teil des Pazifischen Ozeans zwischen Honolulu (Hawaii) und Oakland (Kalifornien). Mit 40 Jahren unternahm sie den Versuch, als erster Mensch die Erde am Äquator zu umrunden. Nachdem sie bereits drei Viertel der Strecke geschafft hatte, ist sie 1937 in der Südsee verschollen. Zu diesem Flug ist das Zitat überliefert: "Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich mir über die Gefahren ziemlich gut im Klaren bin. Ich will es tun, weil ich es tun will. Frauen müssen Dinge genauso versuchen wie Männer es getan haben. Wenn sie versagen, darf ihr Versagen nichts anderes sein als eine Herausforderung für andere."
In Deutschland machte sich erstmals Elly Rosemeyer-Beinhorn an die Weltumrundung. In den 1930er-Jahren stellte die Luftfahrtpionierin etliche Langstreckenflugrekorde auf. 1932 startete sie zur Weltumrundung in vielen Etappen. Als sie nach Berlin zurückgekehrt war, die Ehrungen und Lobreden verstummt waren, fand sich die Rekordfliegerin mit 18.000 Reichsmark Schulden wieder. Die Rettung kam von Paul von Hindenburg, der sie mit dem mit 10.000 Reichsmark dotierten Hindenburgpokal für die beste sportfliegerische Leistung ehrte. Der Reichsverband der Deutschen Flugzeugindustrie übernahm die restliche Summe. Beinhorn starb 2007 hundertjährig in Ottobrunn.
Amelie Hedwig "Melli" Boutard-Beese war die erste Frau, die in Deutschland die Prüfung zum Erwerb der Pilotenlizenz ablegte - nicht ohne massiven Widerstand der männlichen Konkurrenz einschließlich Sabotage an ihrem Flugzeug. Sie gewann Wettbewerbe, stellte Höhen- und Streckenrekorde auf. Mit ihrem Ehemann Charles Boutard und Hermann Reichelt als Teilhaber gründete sie eine Flugschule, gemeinsam konstruierten sie Flugzeuge, eines davon die Beese-Taube. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde die Flugschule geschlossen, die Fabrik demontiert, Beese und ihr französischer Ehemann als feindliche Ausländer interniert. Danach war sie finanziell ruiniert. Verschiedene Versuche scheiterten, eine neue Firma zu gründen und wieder zu fliegen. Nach 15 Jahren Morphinabhängigkeit als Folge einer schweren Verletzung bei einem Absturz, tötete sich Beese 1925 selbst. Sie hinterließ auf einem Zettel: "Fliegen ist notwendig. Leben nicht."
Marga Wolff, genannt von Etzdorf entschloss sich im Alter von 19 Jahren zu einer Ausbildung zur Pilotin. Im Dezember 1927 bestand sie die Prüfung. Sie war somit nach Thea Rasche die zweite Frau, die nach dem Ersten Weltkrieg die Fluglizenz für Verkehrspiloten erhielt. Anschließend bekam sie als erste Frau eine Stelle als Copilotin bei der Lufthansa (DLH). Allein unternahm sie einige spektakuläre Langstreckenflüge, bevor sie sich im Alter von nur 25 Jahren das Leben nahm.
... greifen nach den Sternen
Zu erwähnen wäre noch die Raumfahrt. Mit der Kosmonautin Walentina Tereschkowa flog 1963 zu einer fast drei Tage dauernden Reise ins All und umkreiste die Erde 49 Mal. Sie war die erste Frau im Weltraum - und bis zum Raumflug von Swetlana Sawizkaja im Jahre 1982 auch die einzige. Sally Kristen Ride war 1983 die erste Amerikanerin im Weltraum als Mitglied der Mission STS-7 an Bord der Raumfähre Challenger. Bei ihrem Start am 18. Juni war sie 32 Jahre und 23 Tage alt und stellte damit auch den bis heute gültigen Rekord als jüngster US-Raumfahrer auf.