Feministisch oder genderbewusst?
Von Sarah Jäger
Feministische Theologie und geschlechterbewusste Theologie ist nicht dasselbe. Eine Auseinandersetzung.
Die Anfänge der Feministischen Theologie liegen über vierzig Jahre zurück. Sie hat sich mittlerweile etabliert, ist an vielen Orten an den Universitäten, in den Kirchengemeinden und in der Erwachsenenbildung angekommen. Das alles ist Grund zur uneingeschränkten Freude.
Durch all diese Jahre hat die Feministische Theologie grundlegende Arbeit geleistet: Frauengeschichten in der Bibel aufgezeigt, auf vergessene Frauen in der Kirchengeschichte aufmerksam gemacht, das Gottesbild um neue Anredeformen und Wahrnehmungsweisen erweitert und Dogmatik darauf untersucht, wo Lehre das Patriarchat stabilisiert.
Die Kreativität und Vielseitigkeit der Feministischen Theologie begeistert: Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott, so hat es Mary Daly, eine der Vorkämpferinnen der Feministischen Theologie in den USA, formuliert und dieser Satz hat bis heute ungeheure Energien freigesetzt.
Auch für die Töchter wichtig
Die Themen und Fragestellungen, denen sich die Feministische Theologie widmet, bleiben wichtig auch im 21. Jahrhundert und gerade für die Generation derer, die die Töchter der ersten feministischen Theologinnen sein könnten. Im Laufe der Jahre hat die Feministische Theologie ihre Schwächen und Grenzen erkannt und sich mit ihnen auseinandergesetzt, sie hat begriffen, dass es große Unterschiede zwischen Frauen gibt, dass gerade Frauen der Zweidrittelwelt vollkommen andere Schwerpunkte setzen als westliche Feministinnen. So ist die Bewegung internationaler geworden, sie hat sich inspirieren lassen von der Befreiungstheologie, den ökumenischen Bestrebungen und der Ökologiebewegung.
In den letzten Jahren ist eine neue Bewegung entstanden, die die Feministische Theologie weiterdenkt und dabei vorrangig kritisiert, dass etablierte Feministische Theologie die Essenz von Geschlecht erneut festschreibt. Sie bezieht sich dabei vor allem auf die Theorien von Judith Butler. Im Anschluss an Michel Foucault beschreibt Judith Butler Körper und Geschlecht als Effekte eines kulturellen Diskurses. Butler versteht Geschlecht dreifach als sex, gender und desire (Begehren). Das bedeutet verkürzt, es geht nicht nur um das soziale Geschlecht (gender), während das biologische Geschlecht (sex) unhinterfragt und letztlich normalisierend und normierend als zweigeschlechtlich mit heterosexuellem Begehren gedacht wird.
Bisher wurden die Kategorien von Judith Butler nur zögernd in der theologischen Forschung aufgenommen. Zudem wurde bislang eher selten die Binarität der Geschlechter infrage gestellt, sondern die Forschungen wurden meist auf der unhinterfragten Grundlage des biologischen Geschlechts betrieben. Der Perspektivenwechsel zur "theologischen Geschlechterforschung" vollzieht sich prominent mit dem 2005 gegründeten Netzwerk Geschlechterbewusster Theologie (NGT). Der wichtige Beitrag dieses Netzwerkes besteht darin, das Verhältnis zwischen Theologie und Geschlecht im Zusammenhang komplexerer Geschlechterbegriffe auszuloten und bisher getrennt verhandelte Felder feministischer Foren, emanzipatorischer Männerarbeit, schwul-lesbischer und queerer Ansätze zusammenzubringen.
Macht ein solcher dekonstruktivistischer Ansatz nun die Feministische Theologie überflüssig? Mitnichten, die Gedanken der Dekonstruktion wären nicht möglich gewesen ohne die Vorkämpferinnen der Vergangenheit und der Gegenwart. Geschlechterbewusste Theologie und Feministische Theologie haben sich vieles zu sagen und können Enormes voneinander lernen.
Die Feministische Theologie bringt den Willen zum Kampf für gesellschaftliche Veränderung mit und die Entscheidung, Ungerechtigkeiten nicht länger hinzunehmen, während die geschlechterbewusste Theologie profitiert von ihrem Blick auf die Konstruktion von Kategorien wie Rasse, Klasse, Religion und eben Geschlecht.