Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Frauen zwischen vielen Stühlen

 

Heft 3/2016 Familien(zu)stände

Von Maria Börgermann-Kreckl

 

Anja hat mit der Familiengründung lange gewartet. Nach der Ausbildung als Buchhändlerin entschied sich für ein Studium der Buchwissenschaften. Nach der Hochzeit wünschte sich das junge Paar vor der Familienphase einen stabilen beruflichen Hintergrund für beide, um auch mit Kindern langfristig erwerbstätig sein zu können. In der Großstadt München wollten sie auch bleiben, sodass sie finanzielle Belastungen einkalkulieren mussten. Nachdem Anja dann eine feste Stelle gefunden hatte, war die Freude groß, als sie schwanger wurde. "Als ich meine Schwangerschaftsvertretung einarbeitete" sagt Anja, "merkte ich sofort, wie gut sie ist und wusste also, was auf mich zukommt, wenn ich nicht in Vollzeit zurückkomme. Ich hatte viele Jahre investiert und wollte keine Risiken eingehen." Die Suche nach einer Kita war extrem schwierig. Da ihr Mann beruflich oft im Ausland sein muss, ist Anja auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, die jedoch beide außerhalb Münchens berufstätig sind. Inzwischen hat sich eine gewisse Alltagsroutine eingespielt, aber letztlich kann jede Erkältung des Kindes bedeuten, dass eine_r aus dem Familiengefüge Urlaub nehmen muss. Wenn es darauf ankommt, lassen sich sowohl Anja als auch ihre Mutter krankschreiben, um die Kleine zu betreuen. Der Blick in die Zukunft verrät Anja, dass sie in 20 Jahren, wenn ihre Tochter flügge ist, nicht wirklich frei sein wird, da sie als Einzelkind die Einzige ist, die sich um ihre dann alten Eltern kümmern kann. Diese wiederum planen schon jetzt, langfristig vom Land in die Nähe ihrer Tochter zu ziehen.

Die Sandwichgeneration

Der Fragestellung, wie sich das Leben von Frauen zwischen Kinderbetreuung und Sorge um die alten Eltern heute gestaltet, widmet sich eine aktuelle Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach in einer repräsentativen Untersuchung mit dem Titel ‚Frauen der Sandwichgeneration. Zwischen Kinderbetreuung und Unterstützung der Eltern‘. Sätze wie: "Langsam wächst mir das alles über den Kopf" oder "Mir wird das alles zu viel", drücken das Lebensgefühl vieler Frauen in der mittleren Altersgruppe zwischen 35 und 59 Jahren aus. Angesichts einer Tendenz zu immer späteren Geburten und eines mit dem demographischen Wandel einhergehenden erhöhten Bedarfs an Pflegeleistungen, müssen sie mit einer fürsorgerischen Dauerbelastung rechnen. Sobald die Kinder aus dem Haus sind, erwarten die alten Eltern und Schwiegereltern mehr Unterstützung. All diese Entwicklungen spielen sich vor dem Hintergrund einer nach wie vor traditionellen Rollenaufteilung zwischen Frauen und Männern ab. Die OECD konstatiert für deutsche berufstätige Frauen knapp 3 Stunden tägliche Hausarbeit, für Männer etwa die Hälfte.

In einer ebenfalls aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über die "Lebensentwürfe junger Frauen und Männer in Bayern" zwischen 18 - 40 Jahren zeigt sich, dass ihnen Familie und Beruf wichtig sind und sie ein partnerschaftliches Familienmodell favorisieren. Konterkariert wird dies jedoch von der hohen Erwartung junger Frauen, dass ihre Männer "viel Geld verdienen". Die Männer befürchten, beruflich ins Hintertreffen zu geraten, wenn sie der Familie zu viel Zeit widmen. Das Ergebnis: Viele Männer fühlen sich permanent unwohl und Frauen erwirtschaften kaum Rente.

Keine Zeit zum Durchatmen

In einer anderen Frage haben beide Geschlechter inzwischen weitgehend gleichgezogen. Ihnen ist der berufliche Erfolg sehr wichtig (in der Bayern-Umfrage bei Frauen 30, bei Männern 36 Prozent) und sie sind in der Berufsarbeit gleichermaßen engagiert. Absolut hat sich die Erwerbsarbeit von Frauen in den letzten 25 Jahren verdoppelt, als Reaktion auf die familiären Pflichten der Kindererziehung und inzwischen auch der Pflege, arbeiten sie sehr häufig in Teilzeit. Viele tragen die Mehrfachbelastungen für die eigenen Kinder über deren Volljährigkeit hinaus und helfen auch bei den Enkeln wieder mit, wie das obige Beispiel zeigt. Die Großmutter hat in diesem Fall deutlich erklärt, dass sie sich für ein zweites Enkelkind nicht mehr so engagieren kann und will, da ihre Spannkraft nachlässt und sie auch noch ein eigenes Leben führen möchte.

Zusammengefasst stellt die Allensbach-Studie für berufstätige Mütter fest: "88 Prozent sind als Ansprechpartner für die Kinder immer da. 66 Prozent erledigen die Hausarbeit mehr oder weniger allein. 85 Prozent leiten ein prima funktionierendes Hotel Mama mit Koch-, Wasch- und Putzservice. 25 Prozent betreuen schon Enkel." Das Grundgefühl vieler Frauen drückt sich so aus: "Ich müsste mich mehr um das/ die Kind/er kümmern" und besteht in einem permanenten schlechten Gewissen. Gleichzeitig haben sie den Eindruck, für die Kinder der wichtigste Mensch zu sein. Nicht selten vermitteln sie ihren Männern, dies alles alleine nicht hinzubekommen, woraufhin sich diese ihrerseits nicht selten zurückziehen mit der Begründung, es ihr sowieso nicht rechtmachen zu können. Ein Teufelskreis.

Pflege ist weiblich

Pflegebedürftige (in Deutschland ca. 2,7 Mio) werden zu 65 Prozent von Angehörigen betreut, Kurzzeitpflege oder ambulante Unterstützungen werden nach dem AOK-Pflegereport 2016 deutlich weniger in Anspruch genommen. Viele Männer haben ein großes Verantwortungsgefühl, das sich konkret meist in praktischer Unterstützungen wie etwa Fahrdiensten äußert; sie sind eher als Frauen bereit, externe Hilfe zu holen. "Fast alle Frauen mittleren Alters kümmern sich", laut Studie nämlich zu "95 Prozent um die Eltern oder Schwiegereltern"; sie möchten nicht, dass Fremde sie unterstützen. 78 Prozent der pflegenden Frauen sind berufstätig, 30 Prozent davon in Vollzeit. Es zeigt sich, dass, ähnlich wie bei der Kindererziehung, bei Frauen und Männern die Einstellung überwiegt, dass Frauen besser pflegen können.

Im Alltag gehören zur Pflegearbeit Behördenkontakte, Antragstellungen, Information, Wohnungsumbauten, was weniger Freizeit oder Urlaub was oft langfristig eine psychische und körperliche Belastung zur Folge hat. Am größten ist die Belastung, wenn sich noch Kinder im Haushalt befinden und zeitgleich Großeltern unterstützt werden müssen. In manchen Firmen nimmt unter den Mitarbeitern das Thema "Pflege" inzwischen mehr Raum ein als das der Kinderbetreuung. Die neu eingeführte Möglichkeit einer maximal zweijährigen Familienpflegezeit (bei der analog zur Elternzeit die Rückkehr an den Arbeitsplatz garantiert wird), ist nach Experteneinschätzung deutlich zu kurz, da Pflege in 30 Prozent der Fälle länger als drei Jahren dauert.

Sie tun es gerne

Interessant sind diese Ergebnisse vor dem Hintergrund, dass 70 Prozent der befragten Frauen zu diesem Themenbereich erklären, sie täten die ganze Arbeit gerne. Das lässt sich mit einem traditionellen Familienbild und einer ausgeprägten Familienorientierung der Frauen zu erklären. Trotz der hohen Belastungen lassen sie sich ihre Lebensfreude nicht nehmen. Auch die Studie zu den jungen Leuten in Bayern belegt: "Die bayerischen Frauen kochen fast immer, putzen fast immer und machen die Wäsche fast immer. Lediglich kleine Reparaturen werden immer oder meistens von den Männern übernommen."

Aber - die Frauen sind die Gehetzten, fühlen sich moralisch verantwortlich und sind letztlich von Altersarmut bedroht. Sie haben gelernt, nicht über verpasste Chancen und Träume im eigenen Leben zu jammern. Wie lange wird das noch gehen, dass sich eine Gesellschaft diese verantwortungsvollen Aufgaben kostenlos erbringen lässt von Frauen, die immer mehr von sich selbst verlangen und wenig von der Gesellschaft und ihren Männern?