Großeltern wachsen in ihre Rolle
Heft 3/2012 Vom Reifen
Von Ines Rein-Brandenburg
Das ist das Beste an Oma: sie hat Zeit. Sie hetzt nicht. Sie bleibt gelassen. Mit ihr kommen die langsameren zum Zug: scheinbar unendlich lange ein Bilderbuch anschauen, spazieren gehen und dabei Käfer beobachten, ein Museum besuchen. Das schätzen Kinder besonders an ihren Großeltern.
Trotzdem sind viele Großeltern verunsichert, ob sie alles "richtig" machen. Wie gestalten sie die neue Beziehung zu den eigenen Kindern und den neuen Schwiegerkindern? Müssen sie kochen wie die Eltern? Wie gehen sie mit dem Überangebot an modernem Spielzeug um? Was tun, wenn es in der Beziehung der Eltern kriselt? Auch Großeltern müssen ihre Rolle erst lernen - manchen kommt da guter Rat gelegen. Seit etwa einem Jahr bietet Gerlinde Knopp, Sozialpädagogin in der Seniorenbegegnungsstelle Tiergärtner Tor in Nürnberg, unter dem Titel "Oma und Opa erziehen mit" Seminare für Großmütter und -väter an. Unterstützt wird sie von Referenten aus der Ehe-, Familien und Erziehungsberatung der Stadtmission. Mit Gesprächen und bestimmten hilfreichen Methoden wie Rollenspielen kommen die anstehenden Fragen auf den Tisch, ganz nach dem Bedarf der Teilnehmenden. Weil alle eigene Großeltern-Erfahrung mitbringen, können sich die Teilnehmenden auch gegenseitig "kollegial beraten". Rat suchen die Teilnehmenden auch deshalb, weil sie in ihrem eigenen Leben keine passenden Rollenvorbilder erlebt haben. Als sie Kinder waren, waren oft die eigenen Großeltern bereits tot, geschuldet sowohl der kürzeren allgemeinen Lebenserwartung als auch den Kriegsereignissen am Anfang des 20. Jahrhunderts. Bezugspersonen neben den Eltern waren für sie manchmal eine Tante oder eine Nachbarin, aber kein enges Familienmitglied entsprechenden Alters. Manche haben ihre Kinderzeit auf dem Land, in einem Dorf verbracht. Dort gab es fest gefügte Regeln zwischen den Generationen, dort war das, was man tut oder lässt, gesellschaftlich festgelegt. Wenn nötig, berieten und bestärkten sich die Erwachsenen untereinander. Jetzt wohnen sie in der Stadt, gewachsene Sozialbeziehungen gibt es seltener und viele Regeln haben sich sowieso aufgelöst.
Kinder erleben Alternativen
Die oft vermuteten Generationenkonflikte treten nach Knopps Beobachtung weniger auf als individuelle Konflikte zwischen Personen. Grundsätzlich liegen Eltern und Großeltern in ihren Auffassungen über Erziehungsstile nicht weit auseinander. Und den Enkeln ist die heutige, jung gebliebenen Großelterngeneration näher denn je.
Knopp ermutigt die Großeltern, ihren eigenen Stil zu entwickeln oder im Umgang mit den Enkeln beizubehalten, statt sich an vermeintliche Gewohnheiten anzupassen. "Die Begeisterung, die Sie mitbringen, wird sich auch auf die Enkel übertragen", versichert sie. Die Kinder dürfen durchaus Alternativen zu ihrem Alltag bei den Eltern erleben: anderes Essen, andere Formen der Freizeitgestaltung, anderes Spielzeug, andere Regeln. Umgekehrt lassen sich manche Großeltern vom Nachwuchs anregen, in modische Jugendwelten einzutauchen. Sie lernen, mit dem Computer umzugehen, oder finden Spaß an den Phantasiewelten der Trickfiguren. Sie lassen sich von ungewohnten Unterrichtsmethoden in der Schule berichten oder lernen, welche Pop-Stars gerade angesagt sind.
Selbst noch einmal jung werden
Als Großeltern erleben sie noch einmal die Sonnenseiten der eigenen Elternzeit. Mehr Spiel ist erlaubt, weniger Pflicht ist erforderlich. Früher, mit den eigenen Kindern, da war der Alltag immer "durchgetaktet" mit Beruf, Haushalt und Kindererziehung. Das ist das Los der Eltern, auch in der Gegenwart erleben die Familien die vielfältigen Aufgaben des Alltags als Stress. Mütter und Väter müssen in dieser Lage oft den Kindern sagen "Beschäftige dich selbst". Eine ganz besondere Erfahrung für die Großeltern ist es zu erleben, dass sie noch einmal ganz heiß und innig geliebt werden. Sie erleben, wie wichtig sie sind und genießen dies.
Großeltern von heute lassen sich allerdings nicht beliebig verplanen. Wann die Enkel zu Besuch kommen, muss klar ausgehandelt werden, eigene Ansprüche werden geltend gemacht, Die heutige Großelterngeneration hat noch viel vor im Ruhestand. Sie wollen nach einem langen und harten Berufsleben Freiheit und Freizeit genießen. Nach einer Umfrage von Studierenden der Evangelischen Fachhochschule unter 60- bis 75jährigen rangiert bei den meisten das Reisen an erster Stelle, danach erst folgt die Familie. Aber es gilt auch, dass sie die Eltern - also ihre eigenen Kinder und Schwiegerkinder - häufig sehr verlässlich und regelmäßig unterstützen.
Das viel zitierte Vermitteln von Werten durch die ältere Generation geschieht heute durch gemeinsames Erleben, durch Lebenspraxis. Fest stehende Regeln kommen nicht von außen, aus der Gesellschaft, sondern werden in den Familien individuell aufgestellt. Veränderung, Entwicklung, Reifen geschieht generationsübergreifend - das ist die Chance.