Hilfskräfte aus aller Welt
Heft 4/2008 Fremde Schwestern
Von Maria S. Rerrich
Häusliche Arbeit von Migrantinnen aus ärmeren Ländern wird neuerdings in ausgesprochen widersprüchlicher Weise zum Thema gemacht.
Skandalisierte die Süddeutsche Zeitung eine verbreitete Praxis noch Anfang des Jahres mit der Meldung: "Schwarzarbeit in der Altenpflege - ein Blick in eine dubiose Branche. Ohne Ausbildung, für 1,80 Euro pro Stunde" (21.1.08), so berichtete sie einen Monat später, das Münchener Sozialreferat „rät zur Kombination von deutschen Pflegediensten und osteuropäischen Haushaltshilfen“, denn von „Öffentlichkeit und Politik wird diese Dienstleistungsform de facto akzeptiert, weil hierdurch zusätzliche Kosten vermieden werden .“ (27.2.08). Wie immer man zu diesem Vorschlag steht - auch dem Sozialreferat wird der aufenthalts- bzw. arbeitsrechtliche Status vieler der osteuropäischen Haushaltsarbeiterinnen bekannt sein -, wenigstens wird die bezahlte Arbeit im Haushalt inzwischen öffentlich zur Kenntnis genommen.
Heimliche Helferinnen
Langsam wächst damit auch die Einsicht, dass das häusliche Pflegesystem in Deutschland zusammenbrechen würde, gäbe es die geschätzten 60.000 bis 100.000 privaten Altenbetreuerinnen nicht. Weniger häufig spricht man bisher von den Hilfskräften aus aller Welt, die chronisch kranke und behinderte Menschen versorgen, ebenso wenig wie von den Aupairs, Kinderfrauen und Babysitterinnen, ohne die viele Berufstätige nicht arbeiten könnten. Ganz zu schweigen von den unzähligen Putzfrauen mit und ohne Migrationshintergrund: Sie sind bei gut verdienenden Singles und Paaren heute genauso gefragt wie bei vielen (gar nicht immer wohlhabenden) Rentner(innen), die es nicht schaffen, den Haushalt aus eigener Kraft zu erledigen. Auch wenn man die heimlichen Helferinnen in den deutschen Haushalten bisher eher nur zögerlich wahrnimmt: ihre Zahl geht in die Millionen.
Aber Moment mal - war da nicht noch was? Gab es nicht mal ernsthafte Versuche, Haus- und Familienarbeit radikal neu zu gestalten und Frauen und Männer in gleichem Umfang daran zu beteiligen? Was ist eigentlich aus dieser Idee geworden? Vierzig Jahre nach Beginn der Neuen Frauenbewegung sieht die Bilanz des bisher Erreichten eher ernüchternd aus. Nicht, dass sich gar nichts verändert hätte – aber für wirkliche Geschlechtergleichheit in Bezug auf Haus- und Familienarbeit wurden noch immer so gut wie keine der strukturellen Voraussetzungen geschaffen. Deshalb wird ein erheblicher Teil der häuslichen Arbeit in Deutschland heimlich, still und leise informell gegen Bezahlung verrichtet. Und oft sind diese Arbeitskräfte flexible, individuell anpassungswillige und unsichtbar arbeitende Migrantinnen, die dafür ihre eigenen Angehörigen in der Heimat zurücklassen und für ihre Leistungen für unsere Gesellschaft weder Arbeits- noch Bürgerrechte geltend machen können. Größere Umverteilungsprozesse von häuslicher Arbeit finden - anders als in der öffentlichen Diskussion oft angenommen - nicht in erster Linie zwischen den Geschlechtern statt, sondern vor allem zwischen unterschiedlich privilegierten Gruppen von Frauen.
Privates ist politisch
Eines der größten Wohlstandsgefälle der Welt verläuft inzwischen mitten durch die Europäische Union. Auch das hat dazu beigetragen, dass sich eine neue unsichtbare Dienstbotenklasse in deutschen Haushalten etabliert, denn viele der (übrigens oft gut ausgebildeten) Haushaltsarbeiterinnen kommen aus den osteuropäischen Nachbarstaaten. Sieht so das neue Europa aus? Und soll das unsere gesellschaftliche Dauerlösung sein? Das Private, Persönliche ist politisch – dieser Slogan der Neuen Frauenbewegung ist auch heute noch hoch aktuell. Arbeit im Haushalt kann weniger denn je als reine Privatangelegenheit betrachtet werden, die „irgendjemand“ (bevorzugtes Geschlecht: weiblich) schon „irgendwie“ erledigen wird. Aber wer soll diese Aufgaben dann verrichten und zu welchen Konditionen? Und wie soll die gesellschaftliche Anerkennung dafür künftig aussehen? Für diese Fragen braucht es im 21. Jahrhundert endlich eine zeitgemäße politische Antwort. Und wenn wir den Status quo der neuen internationalen Arbeitsteilung zwischen Frauen in den privaten Haushalten stillschweigend fortschreiben und weiterhin nur seine Vorteile in Anspruch nehmen, dann sollten wir zumindest merken, dass auch das einen politischen Umgang mit diesem Thema darstellt.
Prof. Dr. Maria S. Rerrich forscht an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule München unter anderem zur Soziologie der Geschlechterverhältnisse und sozialer Ungleichheit.