Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Liebeslieder waren gestern

Heft 4/2009 Prima Klima

Von Juliane Brumberg

 

Die Kommission für Jugendschutz (KJM) braucht Rat zur Problematik von Porno- und Gangsterrap und hatte zu einem Expertenhearing eingeladen.

Nicht nur die Liebeslieder, auch Verbote waren gestern, denn sie sind angesichts der heutigen Internetmöglichkeiten nahezu unwirksam. Darin waren sich die Experten auf dem Podium der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien in München einig. Überwiegend einig waren sie sich allerdings auch darin, dass das, was an Frauenverachtung, Gewaltverherrlichung und Obszönitäten in gewissen Rapmusik-Texten zu hören und auf den entsprechenden Video-Clips zu sehen ist, nicht nur jenseits des guten Geschmacks sondern mit Sicherheit auch nicht förderlich für die Entwicklung von Jugendlichen und Kindern zwischen 8 und 13 Jahren ist. Und genau diese sind die Konsumenten und Konsumentinnen eines Genres, das zwar einer in Bewegung befindlichen Jugendkultur entspringt, jedoch von skrupellosen Erwachsenen kommerzialisiert, professionell vermarktet und zu Geld gemacht wird. Wer regelmäßig Pornographie konsumiere, nähme seine Partnerin anders wahr und würde auch Vergewaltiger weniger hart bestrafen. Diese aus Studien gewonnenen Erkenntnisse benannte Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius, Sozialwissenschaftler an der Uni München, als "Kultivierungseffekte" infolge von Pornographie-Konsum.

"Ja kein Opfer sein"

Prof. Dr. Paula-Irene Villa, Soziologin ebenfalls an der Uni München und die einzige weibliche Expertin auf dem Podium, machte darauf aufmerksam, dass Pornographie ein grundsätzlich ungleich verfasstes Geschlechterverhältnis spiegele und für eine hochproblematische Reproduktion von Geschlechterstereotypen sorge: "Männer sind Lust-Subjekte, Frauen Objekte der Lust." Außerdem wies sie darauf hin, dass Porno- und Gangsterrap als Chiffre für die (Jugend-) Kultur der Gegenwart gesehen werden müsse und eine angemessene Artikulation von jungen Menschen in harten, durchökonomisierten Zeiten sei. Das Credo dieser Musik sei, "ja kein Opfer sein".

In diese Richtung gingen auch die Aussagen von Prof. Dr. Uwe Sander, Pädagogik-Professor an der Uni Bielefeld: "Die Songtexte dürften nicht zu wörtlich genommen werden, die symbolische und reale Ebene seien zu trennen. Allerdings sei auch ihre realitätsstiftende Kraft zu berücksichtigen. Worte konstruierten Realität und wenn Jugendliche keine anderen Worte für Liebe kennenlernten!"

Den Blick von der anderen Seite nahm der Leiter des Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin aus Berlin, ein und fragte kritisch: "Stimmt die Behauptung einer sexuellen Verwahrlosung der Jugendlichen?" Die Medien interessierten sich nicht für die Wirklichkeit, sondern für das Außergewöhnliche. Schließlich habe keine Kultur vor der Hip-Hop-Bewegung Jugendliche dazu bewegt, sich - auch sprachlich - so kreativ zu betätigen. Die Erwachsenen-Gesellschaft müsse sich vielmehr fragen, wie sie sinnvolle Jugendkultur fördern könnte. Die beste ‚Waffe‘ gegen Gangsta-Rap sei nicht ein Verbot, sondern die kreative Förderung des Gegenpols, z.B. von Toleranz unter Jugendlichen.

Erwachsene brauchen Grenzen

In eine ähnliche Richtung äußerte sich der Diplom-Psychologe Laszlo Pota aus Berlin: Nicht die Jugendlichen, sondern die Erwachsenen bräuchten Grenzen. Sie trügen zu wenig Verantwortung in unserer "schnelllebigen Gesellschaft mit Suchtcharakter und einer Gehabe-Struktur", in der unzählige Bilder, Videoclips etc. "auf Kinder abgeschossen" würden. Jugendliche hätten schließlich schon immer provoziert und um Aufmerksamkeit zu bekommen, stifteten sie Unheil.

Zum Leidwesen der Veranstalterin und Moderatorin Verena Weigand, Leiterin der KJM-Stabsstelle München, kamen von den Podiumsexperten zwar viele Hinweise auf die Bedeutung von Medienpädagogik, aber wenig konkrete Vorschläge für Richtlinien zum Jugendschutz. Auf die Frage, warum die Kommission für Jugendmedienschutz nicht direkt mit den jungen Menschen spräche, antworte sie etwas resigniert: "Die Jugendlichen fordern strengen Jugendschutz, aber immer für diejenigen, die ein Jahr jünger sind, als sie selbst."