Mehr Frauen in Parlamente - aber wie?
Von Juliane Brumberg
2013 ist ein Wahljahr. Was bedeutet das für die Frauen? Wird ihr Anteil in den Parlamenten endlich dem an der Bevölkerung entsprechen? In der derzeitigen 17. Legislaturperiode 2009-2913 sind von 622 Abgeordneten 418 männlich und 204 weiblich. Das heißt, lediglich 32,8 Prozent der Abgeordneten, nicht mal ein Drittel, sind Frauen. Silke Laskowski ist Professorin für öffentliches Recht an der Universität Kassel und hat sich mit der gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in der Demokratie beschäftigt.
efi: Frau Prof. Laskowski, was ist, außer einem normalen Gerechtigkeitsempfinden überhaupt die Grundlage für die Forderung nach mehr Frauen in den Parlamenten?
Prof. Silke Laskowski: Grundlage ist die deutsche Verfassung. Das Konzept der repräsentativen Demokratie beruht auf dem Gedanken der Volkssouveränität. Sie dient der Legitimation, d.h. der Rechtfertigung von staatlicher Herrschaft, die in der Bundesrepublik Deutschland „vom Volke“ ausgeht. So steht es in Artikel 20 des Grundgesetzes.
Aber das (Wahl-) Volk, das zu 51 Prozent aus Frauen und 49 Prozent aus Männer besteht, wird gar nicht angemessen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene repräsentiert. Denn der Anteil der weiblichen Abgeordneten stagniert seit Mitte der 1990er Jahre bei etwa 30 Prozent. Somit werden die Wählerinnen und ihre Interessen nicht angemessen repräsentiert.
Diese genderdemokratischen Defizite führen zu einem Mangel an demokratischer Legitimation. Denn der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 20 GG) stellt eines der tragenden Konstitutionsprinzipien der freiheitlich-demokratischen deutschen Verfassung dar und wird u.a. durch den speziellen Gleichheitssatz in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) konkretisiert. Vor diesem Hintergrund zielt die in der repräsentativen parlamentarischen Demokratie über die politischen Parteien vermittelte „Volksherrschaft“ heute zwingend auf eine faire, gleichberechtigte, demokratische Teilhabe von Frauen und Männern an der politischen Herrschaftsausübung.
Also gilt es, den Anteil der Frauen in den Parlamenten auf einen für das „Wahlvolk“ repräsentativen Anteil zu erhöhen, um so die auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche Rückbindung der Staatsgewalten an den „Volkswillen“ zu gewährleisten.
Warum ist es so wichtig, dass Frauen und Männer zahlenmäßig gleich stark, also paritätisch, im Parlament vertreten sind?
Die Zusammensetzung der Parlamente mit Mandatsträgerinnen und -trägern wirkt sich auf den Inhalt politischer Entscheidungen aus, insbesondere auf die Gesetzgebung. Ein Blick auf die Erkenntnisse der Politikwissenschaft zeigt, dass politische Entscheidungen nicht zuletzt vom Vorverständnis und den Präferenzen der an der Gesetzgebung Beteiligten abhängen. Sind diese überwiegend männlich, so ist anzunehmen, dass männliches Vorverständnis und männliche Präferenzen unausgesprochen den politischen Entscheidungen zugrundeliegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder feststellt, dass gesetzliche Regelungen zu Lasten von Frauen getroffen wurden und werden.
Entsprechendes gilt für gesetzliches Unterlassen, wie das prägnanteste Beispiel zeigt: die anhaltende Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern. Obgleich das Entgeltgleichheitsgebot seit 64 Jahren Grundgesetz und seit 1972 auch im supranationalen Europäischen Recht verankert ist, verdienen Frauen im Vergleich zu Männern bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit in Deutschland fast 25 Prozent weniger.
An den Ursachen dieses „Gender Pay Gap“ ändert der hier geforderte deutsche Gesetzgeber - der Deutsche Bundestag - nichts, obgleich er es könnte. Nicht individuelles Verhandlungsgeschick, wie Frauen gerne eingeredet wird, sondern verdeckte diskriminierende Entgeltstrukturen sind entscheidend. Diese ließen sich durch eine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung der Bewertungsverfahren und Strukturen ändern. Die Bereitschaft der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, hier tätig zu werden, tendiert seit mehr als 60 Jahren gegen null!
Frankreich als Vorbild
In Frankreich gibt es seit 2001 ein Gesetz, von dem die Deutschen sich etwas abschauen könnten.
Das ist das ‚Gesetz zur Förderung des gleichen Zugangs von Männern und Frauen zu Wahlmandaten und zu Wahlämtern, „La loi sur la parité“. Das Gesetz schreibt eine paritätische Besetzung der Wahllisten mit Frauen und Männern vor, es ist also eine Quotenregelung. Und es gibt Sanktionen. Nicht quotierte Listen werden zurückgewiesen. Das gilt für Kommunalwahlen in Gemeinden mit mehr als 3500 Einwohner/innen, für Regionalwahlen, für Europawahlen und für Senatswahlen.
Für die Wahlen zur Nationalversammlung sind die Wahlkreise quotiert. Es gibt keine Listenwahl, sondern 577 Wahlkreise - mit in der Regel 66 400 Wahlberechtigten - und 577 Abgeordnete. Ein großer Anreiz für die Quotierung läuft hier über Sanktionen bei der Parteienfinanzierung: Wenn der Unterschied zwischen der Anzahl der aufgestellten Kandidaten und Kandidatinnen mehr als zwei Prozent beträgt, werden die staatlichen Zuwendungen an die Parteien nachträglich gekürzt.
Wie hat sich dieses Parité-Gesetz bei den Wahlen ausgewirkt?
Die Auswirkungen waren gewaltig. 2010 gab es in den Regionalparlamenten 47,6 Prozent weibliche Abgeordnete, in den Kommunalparlamenten 48,5 Prozent. Und im Europapalmanet 44,4 Prozent. Das ist eine klare positive Bilanz. Außerdem ist die Wahlbeteiligung gestiegen!
Etwas anders jedoch das Wahlergebnis 2010 für die Nationalversammlung: nur 18,9 Prozent weibliche Abgeordnete. Bemerkenswert ist, dass die Parteien hier bei der Kandidatenaufstellung lieber auf Geld, als auf Männer verzichtet haben. Die Quotenregelung wurde dadurch unterlaufen. Daher wird bereits über eine Nachbesserung des Gesetzes, vor allem härtere finanzielle Sanktionen diskutiert, die dafür sorgen sollen, dass Frauen nicht mehr länger gar nicht bzw. für die eher aussichtslosen Wahlkreise aufgestellt werden.
Wäre ein Parité-Gesetzes auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich und welcher Aspekt würde den größten Erfolg versprechen?
Ja, es ist möglich, denn die repräsentative Demokratie muss die ‚effektive Einflussnahme‘ des gesamten Volks auf Entscheidungen des Parlaments sichern!
Ja, denn Abgeordnete müssen das ganze Volk repräsentieren!
Ja, denn Parteien sind „Transmitter“ zwischen Bürgerinnen und Bürgern („Volk“) und Parlament und müssen die Parteistrukturen demokratisch ausgestalten.
Ja, denn der Staat ist zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung in allen Bereichen der Gesellschaft - Beruf, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik usw. - verpflichtet! In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes steht nicht nur, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, sondern auch ein ausdrückliches Fördergebot.
Der Deutsche Bundestag könnte das Wahlgesetz für die Bundestagswahlen entsprechend ändern; die Gesetzgebungskompetenz dafür hat er. Entsprechendes gilt für die Länderparlamente. Im Übrigen hat der Bundesgesetzgeber die Kompetenz, das Parteiengesetz zu ändern und die Parteien zu einer entsprechend demokratischen Ausgestaltung ihrer - zum Teil stark männlich verkrusteten - Parteienstrukturen zu verpflichten, um mittels paritätisch besetzter Kandidatenlisten für eine entsprechende ‚Spiegelung‘ des Wahlvolks in den deutschen Parlamenten zu sorgen. Hervorzuheben ist: Es geht lediglich um strukturelle Änderungen, nicht um eine inhaltliche Einflussnahme des Staates auf ein Parteiprogramm. Übrigens: Die Parteien, die bereits intern mittels Quoten für eine Strukturänderung eintreten und so dafür sorgen, dass der Deutsche Bundestag seit den 1990er Jahren immerhin 30 Prozent weibliche Abgeordnete hat (Grüne, Linke, SPD), dürften mit solchen gesetzlichen Regelungen, keine Probleme haben.
Mutige Politikerinnen
Wie ist es in Frankreich überhaupt zu dem Parité-Gesetz gekommen?
Ganz interessant: Es bedurfte 1996 nur zehn selbstbewusster und prominenter Politikerinnen - fünf „linke“ und fünf „rechte“ Ex-Ministerinnen -, die sich parteiübergreifend zusammen taten und in dem von ihnen veröffentlichten „Parité-Manifest“ gemeinsam gesetzliche Veränderungen forderten. Es folgte eine konstruktive politische Diskussion, die 1999 zu einer Verfassungsänderung führte. Eingefügt wurde in die Verfassung ein Gleichstellungsfördergebot für den Zugang zu Wahlmandaten und den auf Wahl beruhenden Ämtern. Als Folge konnte 2001 das „Loi sur la parité“ (Gesetz zur Förderung des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern) in Kraft treten.
Wäre so eine Initiative auch in Deutschland vorstellbar?
Aber sicher - in Frankreich haben zehn mutige und durchsetzungsstarke Politikerinnen, die sich parteiübergreifend engagiert haben, gereicht. Warum nicht auch in Deutschland? Wichtig ist eine konstruktive politische Diskussion!