Mit Gefühl gegen Gewalt
Von Katharina Dollinger
Angesichts der emotional aufgeladenen Diskussion bezüglich zunehmenden Gewaltpotentials bei Kindern und Jugendlichen vollzieht Elisabeth Naurath einen positiv-konstruktiven Perspektivenwechsel und fragt danach, wie sich mitfühlendes Verhalten entwickelt und dies von frühester Kindheit an gefördert werden kann, so dass Aggressions- und Gewaltbereitschaft gar nicht erst entstehen.
"Mit Gefühl gegen Gewalt" titelt die Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück ihre Habilitationsschrift und erhält für ihre Arbeit den Hanna-Jursch-Preis, mit dem die EKD alle zwei Jahre herausragende wissenschaftlich-theologische Arbeiten aus der Perspektive von Frauen würdigt. Im Mittelpunkt steht in Spiegelung des Titels das Mitgefühl, das theologisch gesehen vom Mitgefühl Gottes mit den Menschen, der Barmherzigkeit, seinen Anfang nimmt.
Gewalt ist Statistiken zufolge ein vorwiegend männliches Phänomen. Naurath sieht dies weniger in biologischen und hormonellen Bedingungen begründet als vielmehr sozialisationsbedingt. "Die für ein patriarchales System konstruierten Attribute von Männlichkeit wie Schutz und Verteidigung sind heute nicht mehr gängig", so Naurath, "dennoch halten sich gewisse Mythen wie das der Vorrangstellung des Mannes beständig." In Kombination mit der Auflösung von Rollenklischees auf Seiten der Mädchen und Frauen seien Jungen, die auf der Suche nach sozialer Anerkennung und Selbstbestätigung sind, schlicht verunsichert. Andererseits fehlen nach wie vor Männer in Erziehungsberufen, die ein Vorbild gelebter Emotionalität und somit eines anderen Männlichkeitsbildes sein können.
Hilfsbereitschaft ist angeboren
Es helfe aber nichts, damit geschlechtsspezifische Pauschalurteile zu begründen, vielmehr müsse die religionspädagogische Förderung von Mitgefühl und die Senkung von Gewaltbereitschaft im Vordergrund stehen.
"Interessanterweise ist die Motivation anderen zu helfen uns eigentlich angeboren, Kinder haben ganz früh ein Gespür dafür, wenn es andern nicht gut geht, zeigen Trostverhalten und agieren mitfühlend, in der Sozialisation aber wird dieses Verhalten gebremst", erklärt Naurath. Kindern würde viel zu schnell Verantwortung abgenommen, so kümmere sich ein Kind im Kindergarten wenig um ein weinendes anderes Kind in der Gewissheit, die Erzieherin sei dafür zuständig. Dabei könne Mitgefühl gefördert werden. Der Unterschied im Ansatz zu Empathie und Mitleid liege in der stärkeren Betonung des Affektiven: "Mitgefühl beinhaltet Mitfreude, Mithoffen und dabei trotzdem die eigene Identität zu wahren".
Allerdings erreiche man ethische Bildung nicht mit moralischen Appellen. Kinder könnten noch so sehr das Gleichnis des Barmherzigen Samariters verstanden haben, sie würden trotzdem nicht mehr oder weniger mitfühlend sein als sonst auch. "Nur wer selbst Mitgefühl erlebt hat, kann mitfühlend sein", bringt Naurath es auf einen Nenner. Damit das Buch nicht im Regal verschwinden muss, zeigt die Professorin, die selbst dreifache Mutter ist und in der Grundschule unterrichtet hat, neben differenzierten theologischen Aspekten Perspektiven für die Praxis auf.
Frühkindliche Bildung stärken
Durch die Auszeichnung ihrer Arbeit erhofft sie sich vor allem eine öffentlichkeitswirksamere Aufnahme des Themas: "Es wäre toll, wenn solche Inhalte in die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern einfließen, wenn sie die Wahrnehmung des frühkindlichen Bildungsbereich stärken und ein Input für die Erwachsenenbildung - besonders im Bereich der Familienbildung - werden." Angesichts knapper Kassen für die Bildungspolitik eine Herausforderung. "Aber es ist eigentlich ein Skandal, wenn man immer noch ignoriert, wie wichtig für uns alle die Förderung des frühkindlichen und vorschulischen Bereichs ist."
Katharina Dollinger ist Lehrerin für Evangelische Religionslehre und Deutsch am Gymnasium in Aichach.