Mutter übergibt an Tochter
Heft 1/2012 Von Frau zu Frau
Von Maria Börgermann-Kreckl
Traditionell kennen wir es von Handwerkern oder aus der Landwirtschaft, dass der Betrieb von den Eltern - meist vom Vater an den ältesten Sohn - mit allen Rechten und Pflichten auf die nächste Generation übergeben wird. Aus anderen Bereichen und in einem beruflich mehr weiblichen Zusammenhang, wie bei einer Heilpraktikerin, ist ein solcher Übergang noch ungewöhnlich.
In der Familie von Nancy Naujocks ist das Thema der Weiterführung ihrer Naturheilpraxis seit Langem präsent. Sie hat zwei Töchter und schon früh entwickelte sich die Vorstellung, dass es schön wäre, wenn eine von ihnen das Lebenswerk der Mutter weiterführen könnte.
Ihr eigener Weg war nicht so geebnet. Zwar gehörten zu ihrer Familie immer schon heilkundige Frauen, zum Beispiel eine Urgroßmutter, die wir heute als Kräuterfrau bezeichnen würden oder eine Großmutter, die besondere Methoden zum Stillen von Blutungen anwenden konnte. Außerdem hatte Nancy Naujocks einen Arzt als Onkel, bei dem sie schon als kleines Mädchen Medizinbücher kennen lernte. "Als vierjähriges Kind kannte ich bereits das ganze Organsystem des Menschen und wollte selbstverständlich Ärztin werden". Das Leben führte sie aber zunächst in die Hausfrauen - und Mutterrolle, die sie gern ausfüllte.
Wendepunkt im Leben
Es war ihr Vater, der sie eines Tages auf die Möglichkeit, Heilpraktikerin zu werden, hinwies. "Das war der Auftakt zu einem neuen Leben" erinnerte sich Nancy Naujocks. Sie besuchte die Heilpraktikerschule, bestand die notwendigen Prüfungen beim Gesundheitsamt und dann ging es nach Hospitationen in den unterschiedlichsten Methoden darum, zu erkennen: "Was gehört zu mir, was könnte meines werden!" Inzwischen verfügt sie über eine breite Palette von diagnostischen und therapeutischen Methoden, mit denen sie den Menschen, die zu ihr kommen, helfen kann, den Weg der Heilung zu gehen. "Denn ich beziehe mich auf den ganzen Menschen in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht."
Seit 1994 führt sie in dem kleinen Dorf Edling in Oberbayern ihre eigene Naturheilpraxis. Die Dorfbewohner selber kamen allerdings als letzte zu ihr und es gibt auch heute noch bei einigen Ärzten erhebliche Vorurteile. "Aber glücklicherweise begegnet mir auch Offenheit von Ärzten, die meine Angebote als ergänzende Chancen für ihre Patienten und Patientinnen, vor allem auch bei Kindern, anerkennen".
Langsam hineingewachsen
In dieser Atmosphäre wuchs die heute 34jährige Miriam Linner gemeinsam mit ihrer Schwester auf. Sie bekam hautnah mit, dass hinter der Arbeit ihrer Mutter "etwas ganz Besonderes" steht. Zum Beispiel hat sie im Gegensatz zu ihren Freundinnen in ihrer Kindheit kein Antibiotikum bekommen und war auch nie ernsthaft krank. Die Mutter habe irgendwie immer eine Lösung gefunden und ihr und ihrer Schwester die Sicherheit vermittelt, dass sie helfen könne. Da wundert es nicht, dass beide Töchter medizinische Berufe erlernten - Miriam wurde zunächst Arzthelferin und die Schwester Sandra Krankenschwester.
Für Miriam ist aus heutiger Sicht die Begegnung mit der Schulmedizin eine wichtige Erfahrung, denn sie stellte fest, dass Patienten mit gleichen Diagnosen, mit denen sie zum HNO-Arzt gingen, auch ihre Mutter aufsuchten. Andere Patienten und Patientinnen ihres Chefs bekamen mit seinem Einverständnis komplementär Hilfe von ihrer Mutter. Auch um die Grenzen der Naturheilkunde bei diversen Krankheitsverläufen klar zu erkennen, war ihre langjährige Erfahrung im schulmedizinischen Bereich sehr wertvoll.
Miriam übernimmt
Da die Naturheilpraxis von Nancy Naujocks in der Familie einen hohen Stellenwert einnahm, war den Töchtern klar, dass eine sie übernehmen würde. Mit tatkräftiger Unterstützung der Schwester entschied sich Miriam für den Wechsel. Ab 2005 besuchte sie neben ihrer Berufstätigkeit die Schule und bestand sowohl die praktische - "Ich musste vorführen, dass ich Spritzen geben kann oder eine komplette körperliche Untersuchung durchführen, um die daraus resultierenden Diagnosen zu erkennen" - als auch die schriftliche Prüfung mit Bravour. In dieser Zeit bekam sie ihren Sohn Patrick, nun fünf Jahre, der nun den Kindergarten besucht, so dass sie freie Kapazitäten hat. Dass alles so gut ging, interpretiert Miriam heute als Bestätigung, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Auch sie muss sich nun um verschiedene Methoden bemühen, neue Ansätze kennen lernen, Erfahrungen sammeln, üben und hospitieren. Dass sie dies bei ihrer Mutter tun kann, erlebt sie als ein großes Geschenk und formuliert das auch genau so in einem Informationsblatt für die Patienten und Patientinnen.
Allerdings wird sie - genau wie Nancy Naujocks - mit Menschen konfrontiert, die nur auf ein Globuli hoffen, das die Symptome schnell beseitigt und die sich selber nicht anstrengen wollen. Für beide gilt jedoch die Prämisse: "Wir heilen nicht die Krankheit, sondern unterstützen den Menschen auf seinem Weg". Wichtig sei auch, zu erkennen, nicht immer helfen zu können und die Grenzen der Naturheilkunde zu akzeptieren. Nancy Naujocks und Miriam Linner erklären übereinstimmend: "Wir brauchen die Schulmedizin, aber auch wir Heilpraktikerinnen betreiben Medizin und keinen Hokuspokus"!
Seit Oktober 2010 führen Mutter und Tochter die Praxis gemeinsam. Das heißt, sie benutzen die Praxisräume zu unterschiedlichen Zeiten, vertreten sich gegenseitig und arbeiten in bestimmten Fällen zusammen. So kann Miriam von den Erfahrungen der Mutter profitieren und gleichzeitig ihren eigenen Patientenstamm aufbauen. Und die Mutter kann langfristig weniger arbeiten, braucht aber ihre Tätigkeit nicht ganz aufzugeben, denn 'ihre Praxis' bleibt in der Familie.