Schluss mit niedlich, rosa und sexy
Der neue Facebook-Feminismus
Von Stevie Schmiedel
Weit über die Hälfte aller Mädchen zwischen 11-18 Jahren sieht regelmäßig Germanys Next Topmodel auf Pro7. Die Sendung birgt eine hohe Gefahr, den eigenen Körper als hässlich zu empfinden und Essstörungen zu begünstigen. Das verkündete das Internationale Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen (München) Anfang des Jahres in einer seriösen Studie, die breit rezipiert wurde. Der Druck auf Mädchen und Frauen, perfekt auszusehen, Diät zu halten und sich über ihr Äußeres zu definieren, ist größer denn je.
Trotzdem wurde Anfang des Jahres auf fast jeder von Hamburgs unzähligen Leuchtlitfaßsäulen für die neue Staffel der Sendung geworben. Da platzte einigen Eltern, Sozialarbeitern und Redakteuren der Kragen: Sie gründeten Pinkstinks Germany, eine Kampagne, die sich gegen Werbeinhalte, Marketingstrategien und Produkte richtet, die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen. DIE ZEIT berichtete, und Pinkstinks gewann an Unterstützung. Auch sonst startete die Organisation mit guten Karten: Pinkstinks UK gab es schon seit vier Jahren erfolgreich in London. Die Initiatorinnen Abi und Emma Moore müssen heutzutage nur noch ein sexistisches Produkt auf Twitter oder Facebook erwähnen, dann wird dank ihrer großen Anhängerschaft in den sozialen Netzwerken die Kritik so verbreitet, dass die betreffende Firma es aus dem Sortiment nimmt. Ähnliches zu erreichen war die Hoffnung der Deutschen Dependance.
Rosa Überraschungseier extra für Mädchen
Und tatsächlich sind Facebook und co. für Kampagnen heute unentbehrlich. Ein Erfolg wie der von Pinkstinks UK wäre vor vielen Jahren noch nicht denkbar gewesen. Die Geschwindigkeit und Möglichkeit der Verbreitung sind durch die sozialen Netzwerke enorm gestiegen. Klassische Medien wie Print, Radio und TV sind natürlich weiterhin genauso wichtig. Auf dem Titelblatt der Hamburger Morgenpost zeigte Stevie Schmiedel von Pinkstinks im Mai wütend auf ein Leuchtwerbeplakat der Frühlings-Bademodenkampagne von C&A, die den ewig passiven, verfügbaren, perfekt retuschierten, jungen und sehr dünnen Frauenkörper zeigte. 70 Prozent der Morgenpost-Leser schrieben, dass auch sie diesen Sexismus satt hätten, und C&A hängte die Kampagne sofort ab. Als aber im August Ferreros rosa Überraschungsei 'Nur für Mädchen' auf den Markt kam, startete Pinkstinks Germany eine Online-Petition gegen Ferrero, die rasant auf Facebook verbreitet wurde. Mädchen auf 'niedlich, rosa und sexy' zu reduzieren war schlimm genug, insbesondere aber die Feen, mit denen die Eier beworben werden, wurden kritisiert: Sie sahen aus wie laszive kleine Lolitas mit einer Taille, in die kein Darm passt. "Wir wollen nicht, dass unsere Kinder mit einem Rollenbild aufwachsen, dass Frauen als stets verfügbar, harmlos und auf ihr Äußeres reduziert darstellt", meldete Pinkstinks, und wurde in fast allen deutschen Tageszeitungen, in Fernsehen und Radio zum Thema interviewt. Pinkstinks Facebook-Seite wurde innerhalb weniger Wochen über tausendmal von Benutzern mit 'Gefällt mir' markiert. Die Petition erreichte innerhalb von zehn Tagen über 1000 Unterschriften - ein hervorragender Start, der der gleichzeitigen Verbreitung durch klassische und neue Medien zuzuschreiben ist.
Inzwischen steht der Organisation finanzielle Unterstützung in Aussicht, und Pinkstinks durfte zum Weltmädchentag im Hamburger Rathaus einen öffentlichen Vortrag zum Thema Kinder und Werbung halten und sich mit Vertretern des Senats sowie Repräsentanten aus der Werbung zum Thema auseinandersetzen. Ihr Ziel: Germanys Next Topmodel soll im nächsten Jahr nicht öffentlich beworben werden.
Auch in München gibt es eine Kampagne für ein anderes Frauenbild in den Medien. Im November 2011 wurde der öffentliche Startschuss für 'Uns geht's ums Ganze: Frauen und Mädchen für Selbstbestimmung' gegeben, die das Münchner Fachforum für Mädchenarbeit entwickelt hatte. Die dort tätigen Sozialpädagoginnen haben sich zum Ziel gesetzt, am Medienbewusstsein junger Menschen zu arbeiten, da man überall spürt, wie der Druck der Werbeindustrie auf junge Frauen wächst. Wie Marlis Rathje aus Kiel bei ihrer Unterzeichnung der Ferrero-Petition schrieb: "Als Lehrerin und als Frau und Mutter habe ich gesehen, was der Schlankheitswahn anrichtet." Oder, Morten Peters aus Köln: "Ich möchte nicht, dass noch mehr junge Frauen mit einem lädierten Selbstwertgefühl und als Sexobjekt gestylt durch die Welt rennen."
Münchner Kampagne für neue Rollenbilder
Die Münchner Kampagne ist in der Mädchen-Sozialarbeit verwurzelt und macht z.B. mit Streetlife-Aktionen auf sich aufmerksam. Gemein haben die beiden Kampagnen, neue Rollenbilder kreieren zu wollen: Pinkstinks stellt monatlich neue 'role models des Monats' auf ihre Seite und will durch ihre Blogs Eltern ermutigen, sich gegen die Zuschreibungen von Marketing und Werbung, gegen Prinzessin Lillifees, Barbies und Topmodels zu wehren. 'Uns geht's ums Ganze' arbeitet am Menschen direkt. Es wurde ein umfangreicher Diskussionsleitfaden zur Kampagne erarbeitet, der inzwischen zahlreichen Einrichtungen der Münchner Kinder- und Jugendhilfe als Diskussionsgrundlage dient. Im März 2012 fand der erste Methodenerarbeitungsworkshop zum Thema Pornofizierung und Schönheitswahn von und für Fachfrauen statt, wobei 'Methodenkoffer' erstellt wurden, die auf der Homepage zu finden sind. Weitere Workshops und Entwicklung von Materialien sind geplant.
Im April und Mai 2012 gab es auf den Projektwochen 'echt schön!' von Kultur & Spielraum e.V. in der Pasinger Fabrik Workshops zu Schönheit und Pornofizierung. Auf Streetlife-Festivals werden Interviews mit Frauen und Männern verschiedenen Alters zum Thema Selbstbestimmung geführt und später online gestellt. Das Anliegen der Kampagne ist es, jungen Frauen alternative Rollenbilder zu präsentieren, sie entdecken zu lassen, wie stark sie den Rollenbildern der Werbung unterliegen und sie somit zu ermächtigen, sich davon zu emanzipieren.
Auch 'Uns geht's ums Ganze' ist auf facebook vertreten, wo man sie schnell finden kann. Sie verlinken dort spannende Berichte zum Thema, Informationen aus der Wissenschaft oder Neuerungen in der Werbung, gegen die man protestieren sollte. Pinkstinks hörte von der Kampagne und verlinkte sie im September auf ihre facebook Seite, so dass innerhalb kurzer Zeit 798 Personen auf den Bericht zugriffen, die Kampagne unterstützen und sie weiter verbreiten konnten. So können Deutschland weit Sozialarbeiterinnen ihre Methoden kopieren und anwenden.
Licht und Schatten bei Facebook
Trotzdem ist Facebook hoch problematisch. Seine Datenschutzbestimmungen sind bis heute nicht durchsichtig und verändern sich ständig, der Zensur durch Facebook ist man ohnmächtig ausgesetzt und obwohl es für die Verbreitung feministischer Zwecke genutzt werden kann, ist es ebenso traurig anzusehen, wie frauenfeindliche Seiten hunderttausende von Anhängern haben und sich verbreiten. Auch schade, wenn ein David Beckham zwanzigmal so viele 'likes' wie Greenpeace hat, oder die Anhängerinnen von Germanys Next Topmodel sich noch mehr in Glamourwelten verlieren, weil sie z.B. Heidi Klums unzählige Videos und geistarme Nachrichten konsumieren. Es bleibt das 'trotzdem': Die Vernetzung von feministischen Organisationen und der Verbreitung von feministischen Gedankengut ist mit den sozialen Netzwerken, so scheint es, nach langer Pause auf dem aufsteigenden Ast. Pinkstinks bereitet gerade zusammen mit anderen feministischen Organisationen eine große Petition gegen den Deutschen Werberat vor, um seine Toleranz gegen sexistische Werbung anzugehen. Ohne die sozialen Netzwerke wären solche Projekte nicht denkbar.
Dr. Stevie Meriel Schmiedel ist Genderforscherin und lehrt an der Universität Hamburg und an der Hochschule für Soziale Arbeit.