Selbstwahrnehmung von KZ-Wärterinnen
Von Nadja Bennewitz
Im nationalsozialistischen Deutschland hatten ca. 4.000 Frauen als KZ-Aufseherinnen eine Anstellung in einem Konzentrationslager. Sie waren Angestellte der SS, zählten zu deren Gefolge und wurden von der SS nach öffentlichem Tarif für Angestellte bezahlt.
Wurden zunächst hauptsächlich politische Gegnerinnen des NS-Regimes in den Konzentrationslagern inhaftiert, begann mit Kriegsanfang eine neue Phase in der NS-Verfolgungspolitik, nun kamen bis zu 95 Prozent der Häftlinge aus den von Deutschland besetzten Ländern. Der Anstieg auch der Frauenlager innerhalb des Lagersystems sowie die Neuerrichtung des zentralen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück führte zu einem erhöhten Bedarf an weiblichem Aufsichtspersonal.
Eine Interessierte konnte sich per Zeitungsannonce als SS-Aufseherin bewerben oder sie wurde durch das Arbeitsamt angeworben. Das KZ Ravensbrück, das bei der Arbeitsplatzbeschreibung lapidar von der Bewachung von Frauen sprach, die "Verstöße gegen die Volksgemeinschaft" begangen hätten, warb mit Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Lagerhierarchie und stellte "gut eingerichtete" Dienstwohnungen für die Aufseherinnen in Aussicht. Erwähnt wurde nicht, dass diese in Zwangsarbeit von den Häftlingen errichtet worden waren.
Die wenigsten haben die Arbeit verweigert
In der Regel sahen die deutschen Behörden - wie offenbar auch die Aufseherinnen - die Arbeit im Konzentrationslager als eine normale berufliche Tätigkeit an. In einem Arbeitsbuch wird zum Beispiel neben der Tätigkeit als Hausangestellte der Dienstbeginn als Aufseherin in Ravensbrück und die Versetzung in das Konzentrationslager Auschwitz vermerkt. Im nationalsozialistischen Deutschland galt die Unterstützung der unterdrückerischen Maßnahmen des Regimes als normale Arbeit oder gar als Möglichkeit, Karriere zu machen. Die Frauen sollten hier effektiv, rational und professionell arbeiten.
Ab 1944 wurden die Aufseherinnen meist von einer Privatfirma angeworben, die für die Zwangsarbeiterinnen, die in der deutschen Rüstungsindustrie arbeiten mussten, Bewacherinnen benötigte. Die Mehrheit dieser SS-Aufseherinnen, meist ehemalige Arbeiterinnen der jeweiligen Firma, gab nach dem Krieg an, sie seien von der Leitung ihrer Betriebe überredet oder gar dienstverpflichtet worden, man habe ihnen gesagt, sie hätten genauso wie die Soldaten an der Front ihre Arbeit und Pflicht zu tun.
Frieda M. war eine der wenigen, die bei ihrer Ankunft im Konzentrationslager von den Verhältnissen derart erschüttert wurde, dass sie den Dienst verweigerte - ohne weitere Konsequenzen: "Als ich in das KZ-Lager (Ravensbrück) kam und das himmelschreiende Elend sah, besprach ich mich mit meiner Freundin. Wir kamen beide überein, daß wir hier auf keinen Fall bleiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten wir auf eigene Kosten nach Hause fahren."
Diejenigen, die den Dienst antraten, passten sich schnell an den Lageralltag an und nutzten ihre Machtposition. Lisl Jäger (Jg. 1924), österreichische Widerstandskämpferin und als 20-Jährige Häftling in Ravensbrück, berichtete: "Ich seh' sie vor mir, bisschen mollig, schön blond. Sie ist mir deswegen in Erinnerung, weil ich sie gesehen hab', wie die vor einem Block jemand die Augen ausgebohrt hat, bei lebendigem Leib! Und das war eine von den Dienstverpflichteten! Für mich ist das bisher eine der unglaublichsten Erinnerungen."
Vor einem deutschen Gericht wurden nur ein einziges Mal SS-Aufseherinnen verurteilt. In der Nachkriegszeit wurden einige vorübergehend von den Alliierten interniert. Bei den Verhören mussten sie den Beweis erbringen, keine Hauptschuldigen im Sinne des Gesetzes zu sein, da sie als Angehörige der SS Teil einer verbrecherischen Organisation waren. Nahezu alle Aufseherinnen bestritten jegliche Gewaltausübung. Die meisten gaben lediglich zu, Ohrfeigen gegeben zu haben, im Affekt und nur dann, wenn sich die Häftlinge gegenseitig bestohlen hätten.
Dadurch spielten sie sich als moralische Instanzen gegenüber den vermeintlich verrohten Häftlingen auf, sie machten ihre Opfer zu Täterinnen. Die gängige Verteidigungsstrategie war es, das "asoziale" Verhalten der Häftlinge hätten sie als Verfechterinnen der Ordnung bestrafen müssen.
Widersprüche im Verhör
Die SS-Aufseherin Elise G. aus dem Nürnberger KZ-Außenlager, das die Firma Siemens betrieb, verwickelte sich während ihres Verhörs zunehmend in Widersprüche. Offenbar besaß eine Aufseherin durchaus Handlungsspielräume gegenüber Häftlingen, die jedoch selten für diese genutzt wurden. Die Frage, ob es einen Befehl gegeben habe, die Häftlinge bei Lebensmitteldiebstahl zu schlagen, verneinte sie. Weshalb sie dann geschlagen habe? "Weil der Befehl lautete, die Häftlinge dürfen nicht stehlen." Niemand hatte diesen Aufseherinnen explizit den Auftrag erteilt, die Häftlinge zu schlagen. Sie fanden es offensichtlich normal, mit der Hand, mit dem Stock, mit der Peitsche, aus eigener Veranlassung heraus zu schlagen.
Auch Aufseherin Anni E. stellte sich in den Verhören als harmlos dar. Erst durch Aussagen ehemaliger Häftlinge wurde das Ausmaß ihrer Brutalität deutlich. Kaum eine, die sich nicht an sie erinnern konnte: "Ich erinnere mich an eine der Aufseherinnen die Anni' hieß, sie benahm sich brutal gegen uns und eben darum ist sie in meiner Erinnerung. Sie war 30 Jahre alt, stammte aus Nürnberg. Sie ging auch manchmal in ihre Wohnung zum Übernachten."
Dieser Fakt ist bemerkenswert. Offenbar bildeten die SS-Aufseherinnen keine geschlossene Einheit. Sie blieben in Kontakt mit Personen außerhalb des Lagers. In einem abgeschotteten System, das sich ausschließlich an der eigenen Wir-Gruppe orientierte und keinen anderen Referenzrahmen mehr hatte, wie dies bei militärischen Formationen der Fall war, wurden die involvierten Personen durch vermeintliche Werte wie "Kameradschaft" oder "Korpsgeist" in die Lage versetzt, Taten zu begehen, die sie zuvor niemals für möglich gehalten hätten. Hier aber blieb der Kontakt zur Außenwelt bestehen.
Innerhalb des nationalsozialistisch regierten Deutschlands war es gelungen, den üblichen Referenzrahmen von gut und böse derart zu verschieben, dass bisher unfassbar Unmoralisches oder Böses in den Bereich des Denkbaren rückte. Aufgrund der "Herrenrassenideologie", von der eben auch deutsche Frauen profitieren konnten, fand eine Veränderung der moralischen Richtwerte statt, sodass der Verfall ethischer Werte nun gesellschaftsfähig und akzeptabel geworden war und Täterinnen im Nationalsozialismus ihr Handeln als ganz normal empfanden.
Nadja Bennewitz (M.A) ist selbständige Historikerin in Nürnberg mit dem ArbeitsschwerpunktFrauen- und Geschlechtergeschichte.
(www.bennewitz-frauengeschichte.de)