Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Sie bezahlen mit ihrem Körper

 

Heft 1/2015 Auf der Flucht

Von Ines Rein-Brandenburg

 

Tausende Kilometer liegen zwischen Eritrea und Nürnberg. Wer sich ohne Linienflug und wohl geplante Reiseroute auf den Weg macht, ist lange unterwegs. "Zwischen drei Monaten und zweieinhalb Jahren" dauerte die Flucht der Mädchen unterwegs, die in der Vergangenheit von der Nürnberger Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge versorgt wurden. "Wenn da eine junge Frau siebzehnjährig ankommt, ist sie mit 14 oder 15 Jahren losgegangen" rechnet der Leiter Werner Pfingstgraef vor.

Seit rund zehn Jahren sorgt die von den Rummelsbergern getragene Einrichtung dafür, dass jugendliche Flüchtlinge eine geeignete Aufnahme und Betreuung bekommen.

Auf der Flucht vor Milizen und Mädchenhändlern

Unter den Minderjährigen, die ohne Familienangehörige ins Land kommen, sind sehr wenige Mädchen, nur etwa fünf Prozent im Durchschnitt. Extreme sind nicht ausgeschlossen. So wurden im Sommer 2014 in einem Zug in Bayern 50 Mädchen aus Eritrea aufgegriffen, berichtet Pfingstgraef. Was treibt sie zur Flucht? Sie entfliehen der Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten in dem instabilen Land, wo "Milizen randalieren, foltern, töten". Oder sie entfliehen einem Mädchenhandel, bei dem Mädchen verschleppt und als Hausmädchen an reichere Familien verkauft werden, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung eingeschlossen.

Auch aus Äthiopien kamen schon Flüchtlingsmädchen an. Ihre Pässe, stellten die Sozialarbeiter wiederholt fest, gaben ein zu hohes Alter an. Warum? Sie sollten in die umliegenden arabischen Länder als Haushaltshilfen verkauft werden. Der grenzüberschreitende Menschenhandel wird offenbar geduldet, gefördert von den entsprechenden staatlichen Stellen. "Wir gehen davon aus, dass da auch Geld im Spiel ist", also Bestechung. Die Nürnberger Sozialarbeiter "hatten das Gefühl, wenn man der Mädchen über ist oder wenn sie ungeplant schwanger sind, werden sie rausgeschmissen".

Die Mitarbeitenden hören viele harte, beschämende Geschichten. "Mädchen müssen sich ihren Fluchtweg mit ihrem Körper erkaufen - bei denen, die sie hindern wollen, und bei denen, die sie weiterbringen", stellt der Diakon nüchtern fest.

Das Gesicht der Bootsflüchtlinge

Alle kamen über das Mittelmeer. Seit dem großen Schiffsunglück vor Italiens Küste, bei dem im Oktober 2013 über 500 Flüchtlinge ertrunken waren, hat die Rettungsaktion "mare nostrum" dafür gesorgt, dass die Menschen in den aufgebrachten Fluchtbooten nach Italien gebracht werden. Damit kamen mehr Flüchtlinge zum europäischen Festland durch, was auch die Schlepper ausnutzten und mehr und immer untauglichere Boote auf den Weg schickten. Zuvor waren die aufgegriffenen Boote meist von der Küstenwache Frontex nach Nordafrika zurückgebracht worden. Aber die meisten Flüchtlinge, die bis dahin überlebt hatten, versuchten die lebensgefährliche Passage wieder und wieder. Manche Mädchen haben es fünf oder sechs Mal versucht, haben gekenterte Boote überlebt und Tote gesehen. Die UNHCR schätzt, dass in den letzten Jahren rund 20.000 Menschen auf der Flucht ertrunken sind.

Es kommen weitaus mehr Jugendliche als erwartet

In den vergangenen Jahren war die Kapazität der Clearingstelle und Aufnahmeeinrichtungen auf rund 600 Jugendliche pro Jahr eingestellt, das heißt, man hat etwa 30 Mädchen aufgenommen. 2014 rechnet Pfingstgraef, dass insgesamt über 3000 unbegleitete Jugendliche ankommen. Eine schnelle und geeignete Unterbringung kann alleine an den Zahlen scheitern. Die Rummelsberger suchen deswegen händeringend geeignete neue Sozialarbeiter-innen.

Das deutsche Jugendhilfegesetz sichert allen Minderjährigen eine geeignete Versorgung zu, das gilt auch für Flüchtlinge. Jugendliche werden von der Polizei oder dem Jugendamt gebracht, zu jeder Tageszeit aufgenommen, mit Essen, Trinken und einem Bett versorgt. Die ersten Fragen klären Herkunft, Alter, Familienangehörige, es wird ein Vormund bestellt. Es folgt eine gründliche medizinische Untersuchung. Erfragt werden Fluchtgründe und -wege, ob Verwandte in Deutschland bekannt sind und sich kümmern können, ob Familienangehörige auf der Flucht verloren wurden, nach denen geforscht werden muss. Die Clearingstelle ebnet den Weg, wie die Jugendlichen weiter untergebracht werden, in welche Schule sie gehen können, welche therapeutische Begleitung sie benötigen und wie sie sich um Asyl bewerben.