Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Sind Frauen friedfertiger?

 

Heft 2/2014 friedvoll - friedlos

Von Maria Börgermann-Kreckl

 

Sind Frauen friedfertiger als Männer? Wirklich? Vieles spricht dafür, Manches dagegen. So wissen wir von Frauen als Täterinnen und Profiteurinnen im Nationalsozialismus. Nicht weniger brutal als Männer waren sie in der Partei oder als Aufseherinnen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern tätig und exekutierten als Fürsorgerinnen das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", um nur einige Beispiele zu nennen.

In England war es 1982 eine Frau, Margret Thatcher, die als Premierministerin den Falkland-Krieg begann. In der aktuellen Neonazi-Szene gibt es Frauen, die ihre gewaltbereite Haltung hinter dem Bild der bürgerlichen Familienmutter verstecken. In München ist aktuell im NSU-Prozess eine Frau angeklagt, Mordanschläge vor allem auf Ausländer unterstützt zu haben.

Andererseits zeigen die Kriminalitäts-Statistiken, dass Frauen deutlich weniger gewalttätige Straftaten begehen als Männer. Bei Mord- und Totschlagfällen sind mehr als 80 Prozent der Tatverdächtigen Männer. Also doch? Sind Frauen die besseren, weil friedlicheren Menschen?

Eine höchst umstrittene biologistische Argumentationsweise geht davon aus, dass es an der höheren Testosteronausschüttung liege, wenn Männer aggressiver sind, als Frauen. In den Sozialwissenschaften wird schon seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert, ob Friedfertigkeit oder Gewaltbereitschaft angeborene Eigenschaften sind oder erst durch Erziehung und Sozialisierung erworben werden. Immerhin greifen auch heute noch die alten Rollenbilder, nach denen brave Mädchen mit Puppen spielen oder sich als Prinzessinnen verkleiden und nur schön sein sollen, während Jungen beim Kinderfasching Spielzeugpistolen und Piratenmesser in die Hand bekommen, um sich an einem echten, kämpferischen 'Mannsbild' zu orientieren.

Auch die amerikanische Psychologin Carol Gilligan erkennt ein deutliches 'Anderssein' von Frauen und erklärt es durch eine verstärkt auf Beziehungspflege ausgerichtete Erziehung.Die mangelnde Beziehungsfähigkeit von Männern hingegen beruhe darauf, dass ihnen Konkurrenzverhalten und Durchsetzungsfähigkeit beigebracht würden. Tatsächlich haben viele Frauen Schwierigkeiten, sich zu wehren und mit Aggressionen umzugehen. Häufig wenden sie aggressive Gefühle gegen sich selbst und werden eher traurig statt wütend, sind beleidigt oder ziehen sich zurück.

Aggression ist ein Lebenstrieb

Sehr differenziert äußerte sich die 2012 im Alter von 92 Jahren verstorbene Psychoanalytikerin und Feministin Margarete Mitscherlich in ihrem 1985 erschienenen Buch 'Die friedfertige Frau'. Dass dieser Titel bewusst gewählt und ironisch gemeint ist, haben Viele bis heute nicht verstanden, wie sie in einem ihrer späten Interviews erklärte. In diesem Buch hat Mitscherlich die Sozialisation und das Rollenverhalten von Frauen analysiert und ihnen, insbesondere im Hinblick auf die Nazizeit, eine falsche Friedfertigkeit und zu große Anpassungsbereitschaft vorgeworfen. Dies löste vielfältige Kontroversen aus. Während von Feministinnen trotz einer grundsätzlichen Ablehnung der als patriarchal geltenden Psychoanalyse der Blick auf die Rolle der Frau in einer kriegerischen Männergesellschaft begrüßt wurde, kritisierte etwa die Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonic, dass hier die Frauen als Opfer des Nationalsozialismus hingestellt würden.

Unbestritten ist, so Mitscherlich, dass Männern und Frauen einen Aggressionstrieb haben, den sie als Lebenstrieb versteht. Er gilt als unabdingbare Voraussetzung zur Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit aller Lebewesen. Im konkreten Leben erfährt dieses vitale Grundvermögen Umformungen und damit vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Dazu die Psychoanalytikerin: "Aggression ist eine Form der Aktivität, die man im Leben braucht, und ein Mensch ohne Aggressionen wäre widernatürlich." Die nach innen gerichtete Aggression von Frauen ist nach ihrer Einschätzung ebenso problematisch wie die nach außen gerichtete von Männern. Durch die über Jahrhunderte eingeübte Kanalisierung und Hemmung der Aggressionen nach außen hätten Frauen ein "objektbezogeneres, man könnte auch sagen, vernünftigeres Verhältnis zu vielen Dingen im Leben, was sich bei den meisten letztlich in einem friedlicheren Verhalten zeigt."

Kraft, auf etwas zuzugehen

Hilfreich wäre demnach, wenn Frauen Stärke und Unabhängigkeit einüben und lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen, zu zeigen und für sie einzutreten. Margarete Mitscherlich fordert, dass die Frau aktiv "Verantwortung für Veränderungen übernimmt, durchgreift, den eigenen Standpunkt vertritt und Entscheidungen fällt". Dazu passt die wörtliche Übersetzung von Aggression, 'ag-gredi' (lat.) mit 'auf etwas zugehen'. Friedlosigkeit, die sich in Wut äußert, kann so als eine Kraft verstanden werden, die signalisiert, wohin sich eine Frau bewegen will, was verändert werden soll. Es geht darum, für eigene Interessen einzutreten und das Leben entsprechend zu gestalten; damit ist kein rigoroser Egoismus gemeint. Frauen können lernen, kompetenter zu streiten, sie können üben, ein 'Nein' genauso klar zu äußern wie Zustimmung. Letztlich bedeutet es, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und sich nicht dem Gefühl hinzugeben, hilflos ausgeliefert zu sein.

Konsequent gedacht, bedeutet es auch, dass Frauen sich nicht länger die Mär von 'Zickenkriegen' und 'Stutenbissigkeit' aufschwatzen lassen. Dass sie reflektieren, ob sie mitmachen wollen bei einer unterschwellig aggressiven Häme über Schweißflecken im Abendkleid der Kanzlerin. Sie können klar gegen Diffamierungen anderer Frauen eintreten, ob sie nun eine Führungsposition innehaben, Familie und Beruf vereinbaren möchten oder auch zeitweise als Hausfrau und Mutter leben wollen. In diesem Sinne können friedfertige Frauen durchaus die notwendigen Kämpfe führen, die nicht ausbleiben werden, wenn sie als Ziel eine friedliche Welt für alle Menschen im Auge haben.

Zum Weiterlesen:

Margarete Mitscherlich, Die friedfertige Frau, Fischer Taschenbuch 2012, 224 S. 8,95 Euro. Carol Giligan, Die andere Stimme, Lebenskonflikte und Moral der Frau. München 1982.