Steine, Bögen, Licht
Von Ines Rein-Brandenburg
Vor allen bei den großen Domen und Basiliken vermittelt die Architektur auch eine geistliche Botschaft. Der Raum versinnbildlicht den Weg zu Gott. Der kleine Mensch tritt durch ein hohes Portal ein. Insbesondere in der Gotik wurde dieses schon mit "Welt-Anschauung" versehen: Häufig findet sich das jüngste Gericht, die Trennung der Geretteten und der Verdammten mit der Darstellung des thronenden Christus als Weltenrichter. Das hohe Portal führt in einen dunklen, geheimnisvollen Raum, dessen Höhe alle anderen weltlichen Gebäude übersteigt. Auf dem Mittelgang kann sich der Mensch seinen Lebensweg vorstellen, der auf das Ziel, den Altar und das Licht des Chorraumes hinführt. Der Übergang zwischen dem säkularen und dem heiligen markiert häufig ein Bogen und die Altarstufen, die - symbolisch und real - den Weg nach oben ausrichten. Durch die hohen, bunten Glasfenster entsteht im Chorraum "ein Spiel mit dem göttlichen Licht", beschreibt es Marisia Conn. Sie ist Architektin für die Nürnberger St. Lorenzkirche. In diesem Raum könne man die göttliche Gegenwart "körperlich erleben", das war die Intention der Erbauer.
Das Ideal und die Schwerkraft
Immer mehr konnte die Baukunst des 14. und 15. Jahhunderts die massifen Mauern auflösen. Schlanke Pfeiler streben nach oben, dem Himmel, der Erlösung entgegen - und müssen doch eine enormes Gewicht der Gewölbes tragen und ableiten. Filigranes Maßwerk der Fenster lässt viel Spiel mit dem Licht zu - und stellt doch die Statik vor nicht unerhebliche Probleme.
St. Lorenz ist die eine der beiden großen gotischen Bürgerkirchen Nürnbergs, gebaut nicht von einem König oder Kaiser, sondern von den reichen Patrizierfamilien der Stadt.
Verbunden mit den Darstellungen von Heiligen und von biblischen Geschichten haben sie sich mit ihren Wappen in den Kirchenfenstern und mit großen gestifteten Kunstwerken auch selbst Denkmale gesetzt. "Diese Tradition der Verbundenheit der Bürger mit ihrer Kirche spürt man bis heute", hebt Conn das hervor. "Das ist ein sehr sympathischer Teil" ihrer Arbeit, So muss beispielsweise der Engelsgruß, das große Schnitzwerk von Veit Stoß, etwa alle vier bis fünf Jahre zur Restaurierung oder Konservierung herabgelassen werden. "Man könnte da auch eine elektronische Zugvorrichtung einbauen, aber er wird nach wie vor mit Muskelkraft an einer historischen Winde bewegt, und das ist jedes Mal ein großes Ereignis Ein handfester Kraftakt", berichtet die Architektin.
Mehrere Kompromisse
So ein Bauwerk zu erhalten, über 700 Jahre alt, voll mit Kunstschätzen aus Holz, Stein, Metall, Glas und Farbe, mit all seiner Geschichte und dem liturgischen Anspruch im Hintergrund, braucht ein vielfältiges Team. Pfarrgemeinde und Kirchenbauamt, Statiker, Bauschreiner, Restauratoren und viele mehr müssen zusammenarbeiten, um die Kirche als Gesamtkunstwerk zu erhalten. Sie werden jeweils gezielt für die einzelnen Aufgaben herangeholt. Einen klassiche Bauhütte, wie es sie für Großkirchen noch vereinzelt gibt, ist für die Lorenzkirche schon lange Vergangenheit. Liturgische Fragen und Luftfeuchtigkeit, Nutzung und Schutz, Statik und Akustik, Gotteshaus oder Museum erheben oft gegensätzliche Ansprüche, die irgendwie in Einklang zu bringen, mit Kompromissen zu verhandeln sind.
Architektur und Bauhandwerk sind nicht mehr reine Männersache wie früher. Unter ihren Studierenden findet Marisia Conn, die in Frankfurt an der University of Applied Sciences eine Lehrauftrag innehat, etwa zur Hälfte Männer und Frauen. Auch unter den Restauratoren, ebenso wie in anderen Handwerksberufen, finden sich mittlerweile viele Frauen, berichtet sie.