Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.

Wenn es trotz allem nicht langt

Heft 2/2009 Wirtschafts-Weise

Wenn es trotz allem nicht langt

Von Melanie Vogt

 

"Jede Woche haben wir fünf neue Anmeldungen", berichtet Ingrid Struller, die Gründungsvorsitzende der Bayreuther Tafel. "Viele der Frauen, die hier einkaufen, schämen sich für ihre Situation, wollen nicht über ihren täglichen Kampf ums Durchkommen, ums Überleben berichten."

Dabei geht es hier keinesfalls um Einzel- oder Ausnahmefälle. Wenn es schon in einer kleinen Stadt wie Bayreuth 2 000 Menschen gibt, die auf die Unterstützung der Tafel angewiesen sind, kann man sich leicht ausrechnen, wie die Situation in München, Stuttgart oder Berlin aussehen mag. Und zu den 2 000 Menschen müssen noch all jene hinzugezählt werden, die sich nicht trauen, zur Tafel zu gehen und sich einen Ausweis ausstellen zu lassen, die lieber versuchen sich auf andere Weise irgendwie durchzuschlagen.

"Von meiner Arbeit kann ich viel erzählen", sagt Ingrid Struller. "Einmal zum Beispiel rief eine junge Mutter am 25. des Monats an und erklärte, ihre Kinder hätten den Tafelausweis verschlampt. Was macht man da? Soll ich ihr misstrauen und vermuten, dass sie gar keinen Ausweis hat? Soll ich die Frau mit ihren drei Kindern sechs Tage hungern lassen, bis sie einen neuen Ausweis hat oder mache ich eine Ausnahme und lasse sie einkaufen?" Das ist ein Negativbeispiel, zeigt die Spitze des Eisbergs, zeigt, unter welchen Umständen Frauen, vor allem alleinerziehende Frauen, in Deutschland wirtschaften müssen.

Notfalls wird geteilt

Aber nicht nur die Einkaufsberechtigten, das sind HartzIV-Empfänger und -Empfängerinnen, Überschuldete, die trotz regelmäßigem Einkommen oder ein, zwei Minijobs nicht über die Runden kommen und die vielen Sozialhilfe-Rentner und Rentnerinnen, nein auch die Tafel-Mitarbeiterinnen müssen weise wirtschaften. An zwei Tagen in der Woche ist die Tafel geöffnet und jeden Abend sind die Regale leer. "Irgendwie schaffen wir es immer, dass ich niemanden ohne etwas heimschicken muss. Da wird das letzte Brot geteilt, Reserven werden aus dem Notlager geholt. Aber vielleicht kehren einige auch wieder um, wenn sie von draußen sehen, dass die Regale leer sind."

Statistiken werden hier in Bayreuth kaum geführt. Trotzdem weiß Ingrid Struller, dass manche Frauen jede Woche, einige nur am Monatsende und wieder andere sogar noch seltener - also nur im äußersten Notfall - zum Einkaufen kommen. Das ist entlastend, denn wenn jede Woche all die Menschen kämen, die einen Tafelausweis haben, könnten wir gar nicht alle bedienen. Beide Seiten wirtschaften also so, dass am Ende doch alle mehr oder weniger ihr Auskommen haben.

Nur wenige entrinnen dem Teufelskreis

Zumindest auf den ersten Blick, der bei den nur oberflächlichen Kontakten zu den Einkäuferinnen möglich ist. Gerade Frauen zeigen in ihrem Einkaufsverhalten, dass sie sich sehr wohl Gedanken darüber machen, womit sie am längsten auskommen. Zum Teil fragen sie auch ganz gezielt nach bestimmten Waren - meist sind es die Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis oder Kartoffeln. Leider sind das gerade die Lebensmittel, die eine sehr lange Haltbarkeit haben und daher nur spärlich an die Tafel abgegeben werden, zum Beispiel nur, wenn eine Nudel- oder Zuckerpackung aufgerissen ist.

"Schaffen es Frauen, aus ihrer schwierigen Situation herauszukommen? Ein Leben ohne die Unterstützung der Tafel zu führen?", will ich dann wissen. Ingrid Struller vermutet und hofft, dass es manchmal so ist. Schließlich gilt der Tafelausweis nur so lange, wie es staatliche Unterstützung gibt. Bestimmt schafft es die eine oder andere, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, einen Job zu finden, der ihr wieder auf die Füße hilft. Aber sie muss auch davon ausgehen, dass einige Menschen aus Scham nicht mehr zum einkaufen kommen oder auch sterben.

Melanie Vogt ist freiberufliche Journalistin in Bayreuth.