Wozu Frauensonntage und Männersonntage?
Heft 4/2012 frei-willig
Von Beate Blatz
Meine Nachbarinnen und Nachbarn haben keine Ahnung, dass es Männersonntage und Frauensonntage gibt: "Und wozu sind die gut?"
In den meisten Landeskirchen gibt es sie einmal im Jahr. Im Mittelpunkt steht jeweils ein landeskirchlicher sonntäglicher Hauptgottesdienst als geschlechtsspezifische Ansprache Gottes, in dem jeweils Männer oder Frauen ihre eigene Sicht des Lebens, ihre geschlechtsspezifischen Bedürfnisse, Sorgen und Gedanken vor Gott ausbreiten können, um neue Kraft und Lebensmut zu schöpfen. Kirchenpolitisch interessant: die Landeskirchen bieten den Raum für die Frauensonntage und die Männersonntage und die Position im Kollektenplan - die Kollekte geht jeweils in die Unterstützung der Arbeit mit Männern oder mit Frauen -, engagieren sich darüber hinaus aber nicht in der Gestaltung. Veranstaltet und verantwortet werden die Gottesdienste von der Männerarbeit bzw. den Frauenarbeiten der Landeskirchen.
Bei der Internetrecherche kommt der Hinweis auf DEN Männersonntag sofort, mit der klaren Information: jedes Jahr am dritten Sonntag im Oktober wird EKD-weit der Männersonntag gefeiert. Er steht immer unter einem Jahresthema. Das Ziel: direkte geschlechtsspezifische Ansprache der Männer, Seelsorge und missionarischer Auftrag.
Frauensonntage gibt es viele
Die Einträge für den Frauensonntag wirken auf den ersten Blick diffus, es gibt ihn nicht, DEN Frauensonntag bundesweit. Es gibt viele Frauensonntage: Da ist der 'Laetare-Sonntag', an dem gemäß Kollektenplan der EKD für Frauen und Familien gesammelt wird. Und es gibt einen Frauensonntag, der in den unterschiedlichen Landeskirchen und Gemeinden irgendwann von Juni bis November gefeiert wird. Drittens gibt es den Miriam-Sonntag am 3. Sonntag im September. Er wurde im Zuge der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade 'Kirchen in Solidarität mit Frauen' 1988 bis 1998 eingerichtet und wird auch heute noch, z.B. im Rheinland, am 14. Sonntag nach Trinitatis begangen. Frauensonntage werden von Frauen in 'Werkstätten' vorbereitet. Indem sie ihre Anliegen in ihrer Sprache vor Gott ausbreiten, erfahren sie die spirituelle Kraft des christlichen Glaubens. Die Gottesdienste sind, leger formuliert, die Energiequelle, die die Frauen befähigt, sich als mündige Christinnen in dieser Welt zu engagieren.
Ursprünge im ersten Weltkrieg
Historisch gesehen fallen die Ursprünge für Frauensonntage und den Männersonntag in die unruhigen Zeiten während des Ersten Weltkriegs und unmittelbar danach. Die badische Kirche führte bereits sehr früh, um 1916, Frauensonntage ein. Ihr Ziel: biblische Unterweisung, Austausch und Geselligkeit und - die Erörterung sozialer und politischer Themen.
Die Kirchen waren erschrocken über die zunehmende Sittenlosigkeit in der Bevölkerung, die sich lieber dem Kinemathographen hingab als kirchliche Angebote anzunehmen oder Gottesdienste zu besuchen. Frauen- und Männersonntage sind ihren Ursprüngen nach volksmissionarische 'Events'. In den 30er Jahren verschränkte sich das volksmissionarische Gedankengut mit dem kirchenpolitischen Anliegen, die vorhandenen Vereine der Männer-, Frauen- und Jugendarbeit zu 'verkirchlichen'.
1934 begann die Hannoversche Landeskirche damit, Männersonntage abzuhalten: In einer Schrift aus der Zeit heißt es, der Mann sei in der Entfaltung seines Wesens zu unterstützen und gleichzeitig in seiner männlichen Aktivität zu bremsen, um somit die männliche Sünde, die 'promethische Selbstherrlichkeit', zu verhindern.
Neben den Gottesdiensten bemühen sich die Kirchen seit Beginn des letzten Jahrhunderts, den Männern und Frauen mit unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Angeboten wieder zu einer Orientierung in der aus den Fugen geratenen Zeit zu verhelfen. Christliche Frauenverbände richteten Mütterschulen und Nähstuben ein und organisieren in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Bibelstunden für Frauen. Emanzipation war dabei weniger Absicht als Evangelisation. Und doch bereiten die Bibelstunden, in denen Frauen lernen, die biblischen Texte im Kontext ihrer eigenen Lebensverhältnisse zu lesen und eigenständig zu interpretieren, den Boden für die später aufgehende emanzipatorische Saat.
Die Angebote der christlichen Frauenverbände waren überdies per se Meilensteine der Emanzipation, denn zu Beginn des letzten Jahrhunderts bieten sie den Frauen eine der wenigen Möglichkeiten, sich öffentlich zu treffen.
Und heute?
Manche Landeskirchen mussten nachdrücklich daran erinnert werden, dass es eine relevante Tradition geschlechtsspezifischer Arbeit gibt. Die Frage ist: erreicht das Angebot die Menschen in ihrer Lebenswelt? Zumindest ist die geschlechtsspezifische Arbeit ein Beispiel für die Vielfalt gelebten kirchlichen Lebens. Diversity Management ist als Erfolgsfaktor längst anerkannt.
Bleibt zu hoffen, dass die geschlechtsspezifische Arbeit in Verbänden und Gemeinden weiterhin beharrlich das tut, was sie eigentlich so gut kann: Diversity in Gottesdiensten als Kraftquelle erkennen, in den konkreten Lebensbereichen der Gesellschaft präsent sein und - Gesellschaft aktiv als ChristInnen gestalten.
Dr. Beate Blatz ist freie Redakteurin und Fotografin. Von 2006 bis 2011 leitete sie die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland und den Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland.